Erinnerungskultur

Von Staats wegen

von Volkhard Knigge

Das Schweigen war lang. Doch jetzt hat Kulturstaatsminister Bernd Neumann ein neues Gedenkstättenkonzept für den Bund vorgelegt, das bereits vom Kabinett abgesegnet wurde.
Das 31 Seiten umfassende Papier ist die überarbeitete Fassung eines Entwurfs aus dem vergangenen Jahr, der viel Unmut hervorrief. Unter anderem, so die Kritiker, weil dort beide deutschen Unrechtsregime – die Nazidiktatur und der SED-Staat – »gleichgesetzt« worden seien. Doch an eine breite Diskussion der neuen Förderkonzeption unter Einbeziehung von Opferverbänden, Gedenkstätten und Zivilgesellschaft war offensichtlich nicht gedacht. Der Entwurf ist als »Vorlage« für den Kulturausschuss des Bundestages deklariert worden. Das allein sagt schon viel aus. Zu Kommentaren oder gar Kritik wurde nicht ermuntert. Und eine Anhörung im Kulturausschuss des Bundestags im November 2007 dauerte kaum fünf Stunden. Sollte es weitere Gespräche gegeben haben, dann müssen sie dem Modell heimlicher Politikberatung oder lobbyistischer Intervention gefolgt sein.
Genau hier liegt ein generelles Problem des neuen Konzepts: Das weitgehend undurchsichtige Ausarbeitungsverfahren unterscheidet sich klar von dem diskursiven, aus dem die alte Konzeption des Jahres 1999 hervorgegangen ist. Erarbeitet wurde sie 1995 bis 1998 von der Enquête-Kommission »Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der Deutschen Einheit« (sic!). Öffentliche Diskussionen – auch in Gedenkstätten unter Beteiligung von Opferverbänden – waren dabei die Regel.
Erinnerungskultur ist damals nicht administriert, sondern nachhaltig belebt und institutionell unterfüttert worden – in ausdrücklicher Anerkennung ihres zivilgesellschaftlichen Fundaments. Das war keine Selbstverständlichkeit. Denn in der Bundesrepublik hat es Jahrzehnte gedauert, bis ein größerer Teil der Gesellschaft willens war, die Überreste ehemaliger KZs als Gedenkstätten anzuerkennen. Da kann es kaum überraschen, dass erst 50 Jahre nach dem Holocaust, 1995, ein bayrischer Ministerpräsident in der Gedenkstätte Dachau eine Rede hielt oder auf dem Gelände des KZ Neuengamme noch bis vor wenigen Jahren Strafanstalten betrieben wurden. Wer sich das vor Augen führt, wird ermessen, welcher Aufbruch sich mit dieser Haltung der Enquête-Kommission verband. Er wird auch erkennen, dass der kritische Geist der DDR-Bürgerrechtsbewegung nachwirkte.
Davon ist in dem nun vorgelegten Konzept wenig geblieben. Nicht nur durch ihr Zustandekommen, sondern auch, weil die Möglichkeit der Initialförderung gesellschaftlichen Engagements eliminiert worden ist. Die bundesrepublikanische Zivilgesellschaft aber hat sich nicht zuletzt durch die kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte und dem Nachwirken des Nationalsozialismus konstituiert. Jenseits staatlicher Verordnung gab es die Bereitschaft von Bürgerinnen und Bürgern, sich mit den deutschen Verbrechen uneingeschränkt auseinanderzusetzen und der Opfer zu gedenken. Erst dies hat zur substanziellen Demokratisierung der Bundesrepublik geführt.
Das Zustandekommen des jetzigen Gedenkstättenkonzepts entspricht zwar formaler Demokratie. Doch es bedeutet einen Verlust an demokratischer Kultur. Koalitions- und Kabinettspolitik haben in hohem Maße die öffentliche Auseinanderset- zung um die Zukunft der Erinnerung ersetzt. Der in die finanzielle Verantwortung genommene Staat scheint auf die Mitwirkung seiner Bürger bei der Fortentwicklung der Erinnerungskultur weitgehend verzichten zu wollen. Und dies, da sie angesichts des Verschwindens der Zeitzeugen als historisch-politische und ethische Bildung neu konzipiert werden muss. Doch dazu sind nicht nur Fachleute nötig, sondern auch ein lebendiger, öffentlicher, gesellschaftlicher Selbstverständigungsprozess.
Erinnerungsbereitschaft, Engagement und Zivilcourage lassen sich nur bedingt durch Fachinstitutionen anerziehen. Wer in Gedenkstätten arbeitet, erfährt täglich, dass kritische Erinnerungskultur nur so glaubwürdig ist wie Politik und Gesellschaft, die sie propagieren. Wir sollten endlich anfangen, offen darüber zu diskutieren, wie Erinnerungskulturpolitik in einer demokratischen Gesellschaft aussehen muss.

Der Autor ist Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten und Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora.

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