von Uwe Scheele
Mit Bestürzung haben die jüdischen Gemeinden Spaniens auf ein Urteil des Verfassungsgerichts reagiert, das die Leugnung des Holocaust in Spanien künftig nicht mehr unter Strafe stellt. Bisher musste, wer den millionenfachen Mord an Juden während der Nazi-Zeit leugnete, mit bis zu zwei Jahren Haft rechnen. Der entsprechende Paragraph im Strafgesetzbuch, der erst 1995 eingeführt worden war, muss nun geändert werden. Am Freitag vergangener Woche war bekannt geworden, dass das Verfassungsgericht der Klage des Neonazis Pedro Varela stattgegeben hat, der in Barcelona einen Buchladen betreibt, in dem er rechtsradikale Publikationen und antisemitische Propaganda vertreibt. 1998 war er wegen Volksverhet- zung und Verherrlichung des Völkermords zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Gegen das Urteil hatte er Berufung eingelegt, das zuständige Landgericht Barcelona hatte darauf das Verfassungsgericht eingeschaltet.
Das entschied nun, dass Behauptungen, die den Massenmord an Juden in Frage stellen, in Spanien künftig unter die Meinungsfreiheit fallen. Die Rechtfertigung des Holocaust und jeglichen Völkermords wird dagegen weiterhin mit bis zu zwei Jahren Gefängnis bestraft. Das Verfassungsgericht hat das Urteil offiziell bestätigt, mit einer Urteilsbegründung wird frühestens am Donnerstag gerechnet. In ei- ner offiziellen Stellungnahme brachte der Zentralverband der Jüdischen Gemeinden in Spanien (FCJE) seine Besorgnis über das Urteil zum Ausdruck. Spanien entferne sich vom europäischen Konsens, wonach die Meinungsfreiheit die Menschenrechte achten müsse. »Spanien wird zu einem europäischen Informationszentrum der Nazis, von hier aus werden Bücher, Zeitschriften und Internetseiten in alle Welt verbreitet«, warnte der Verband. »Die Holocaust-Opfer sind Opfer des Verfassungsgerichtsurteils, das die strafrechtlichen Grenzen aufhebt, die die Ausbreitung von Rassismus, Fremdenfeindlich- keit und Antisemitismus in der Gesellschaft verhindern«, heißt es in der Erklärung des FCJE weiter. Der Verband kündigte rechtliche Schritte gegen das Urteil vor europäischen und internationalen Institutionen und Gerichtshöfen an.
Das Leugnen der Taten des Nazi-Regimes sei wie eine Rechtfertigung dieser Taten. Denn wer die geschichtlichen Tatsachen leugne, gebe den Nazis Recht, er- klärte der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Barcelona, Teodoro Burdman. Die Rechtsauffassung des Verfassungsgerichts sei in Europa einmalig, isoliere Spanien gegenüber seinen Partnerländern und erlaube unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit einen »Vormarsch des Faschismus und Totalitarismus« in Spanien. »Das Urteil ist für eine Demokratie des 21. Jahrhunderts unwürdig, wir werden alles daransetzen, dass es nicht umgesetzt werden kann«, kündigte Burdman an. Er appellierte an die europäischen Nachbarländer, ihr Missfallen zu bekunden. Das Urteil richte sich gegen die Juden, gegen die Demokratie und die gesamte Zivilgesellschaft.
In dem Urteil trete der Antisemitismus einer Gesellschaft zutage, in der Personen mit faschistischer, rückständiger, antisemitischer und antidemokratischer Grundhaltung wichtige Positionen innehaben, so Burdman weiter. »Nach 500 Jahren herrscht immer noch derselbe Geist der Inquisition.« Die Juden in Deutschland rief er auf, ihren Einfluss über diplomatische Wege geltend zu machen, damit der drohende Rückschritt für die Menschenrechte in Spanien gestoppt werde.
Am Dienstag hat der Zentralverband der Jüdischen Gemeinden in Spanien (FCJE) über das weitere Vorgehen beraten. »Rechtliche Schritte sind nicht einfach, da es sich um eine interne Entscheidung des Verfassungsgerichts über einen Paragraphen des Strafgesetzbuchs handelt«, erläuterte die Generalsekretärin des Zentralverbands, Dalia Levinsohn. Hintergrund des Urteils seien offenbar die internen Querelen des Verfassungsgerichts, das in den vergangenen Monaten zunehmend in die politischen Auseinandersetzungen zwischen regierenden Sozialisten und oppositioneller Volkspartei geraten war. Gegen fünf der zwölf Richter des Verfassungsgerichts liegen derzeit Befangenheitsanträge beider Parteien vor, drei dieser Richter haben nach Angaben der spanischen Tageszeitung El País abweichende Begründungen zum Holocaust-Urteil angekündigt.
»Möglicherweise ist nicht allen Verfassungsrichtern klar, welchen Schaden sie auch Spanien zugefügt haben«, erklärte Levinsohn. »Für mich als Jüdin und Rechtsanwältin ist das Urteil eine herbe Enttäuschung, aber auch für die juristische Fachwelt ist es vollkommen unverständlich.« Ärgerlich sei, dass der Neonazi Varela nun straffrei ausgehe, obwohl es in dem Verfahren vor dem Verfassungsgericht nicht um das Urteil gegen ihn gegangen sei. Während des neunjährigen Verfahrens vor dem Verfassungsgericht war seine Strafe ausgesetzt worden.
Ein anderer Neonazi hat unterdessen seine Haft antreten müssen: Der Ende August in Málaga verhaftete Österreicher Gerd Honsik war bereits am 4. Oktober an die österreichische Justiz ausgeliefert worden. Honsik war wegen volksverhetzender Publika- tionen, in denen er den Holocaust leugnete, 1992 in Wien zu eineinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden. Dem Haftantritt hatte er sich durch Flucht nach Spanien entzogen. 1995 hatte Spanien einen österreichischen Auslieferungsantrag abgelehnt, da die Holocaust-Leugnung seinerzeit in Spanien nicht strafbar war. Aufgrund eines Europäischen Haftbefehls war er im August verhaftet worden. Seine Auslieferung wäre nach dem jüngsten Urteil des Verfassungsgerichts nicht mehr so einfach gewesen.