von Wladimir Struminski
Die Meldung jagte wie ein Adrenalinstoß durch Israels Finanzwelt. »Warren Buffet kauft Iscar«, hieß es, »Für vier Milliarden Dollar« fügten atemlos die Nachrichtensprecher hinzu. »Ein positiver Impuls« freute sich Ministerpräsident Ehud Olmert. »Ein Vertrauensbeweis für die israelische Wirtschaft«, schrieb die sonst verhaltene Tageszeitung Haaretz stolz. Die Bör- sen reagierten mit einem Höhenflug – dem »Buffet-Effekt«.
Die Transaktion ist aus drei Gründen ein Großereignis. Erstens handelt es sich um eine der größten Unternehmensübernahmen in Israels Geschichte. Zweitens ist der Käufer eine Legende. Mit einem geschätzten Vermögen von mehr als vierzig Milliarden Dollar ist Buffet nach Bill Gates der zweitreichste Mensch der Welt. Von Omaha aus, tief im Mittleren Westen der USA, leitet er seine Investmentholding, Berkshire Hathaway, und damit ein Wirtschaftsimperium von Weltrang. Buffet kontrolliert eine Reihe von Unternehmen, unter ihnen Coca Cola und die Washington Post. Wenn nun Buffet erstmals Gefallen an einer israelischen Firma findet, hoffen die Israelis, daß andere Investoren dem »Orakel aus Omaha« folgen werden. Vielleicht nicht zu Unrecht. Im Gefolge der Transaktion kündigte der TV-Sender CNN eine Sondersendung über Investitionsmöglichkeiten in Israel an. Bessere Werbung kann sich der von Auslandsinvestoren nicht gerade verwöhnte jüdische Staat nicht wünschen. Der dritte und vielleicht wichtigste Grund für das enorme Interesse, das das Großgeschäft in Israel auslöst, ist aber das Übernahmeobjekt selbst. Iscar und sein Gründer, Stef Wertheimer, sind eine von den sonst superkritischen Israelis bewunderte Legende.
Der Selfmademan Wertheimer wurde 1926 im süddeutschen Kippenheim geboren. 1937 rettete sich die Familie durch Übersiedlung ins britische Mandatsgebiet Palästina vor den Nazis. Mit 16 ging Stef ohne Abschluß von der Schule ab und begann, Fotoapparate zu reparieren. 1943 meldete er sich freiwillig zur britischen Armee und setzte in Bahrein die optischen Geräte britischer Kampfflugzeuge in Stand. 1945 schloß er sich dem Palmach, der Eliteeinheit der jüdischen Untergrundarmee Hagana, an und diente als Technikoffizier. Nach der Staatsgründung war er Rüstungsexperte im Verteidigungsministerium. 1952 schließlich rief der Existenzgründer eine eigene Kleinfirma, Iscar, ins Leben. Der Standort war sein Hof in der Jeckes-Hochburg Naharija.
Heute ist Iscar einer der führenden Hersteller von Hartmetallwerkzeugen. Neben der einheimischen Fabrik im galiläischen Industriepark Tefen unterhalten die Iscar Metalworking Companies (IMC) ein internationales Netz von Tochterunternehmen, darunter die Iscar Germany im badischen Ettlingen. Weltweit arbeiten fast 9.000 Menschen für den Konzern. Inzwischen leitet Stefs Sohn Eitan die Firma, auch wenn der Senior, wie er es vor kurzem ausdrückte, noch »etwas zu sagen« hat.
Trotz der rasanten Entwicklung ist Iscar ein Familienunternehmen geblieben und legt großen Wert auf Diskretion. Selbst die Umsatzzahlen werden streng geheimgehalten und können von Außenseitern nur geschätzt werden. Der Jahresumsatz 2005 wird mit rund einer Milliarde Dollar beziffert. Damit wäre Iscar die zehntgrößte Industriefirma des Landes. Die Rentabilität ist dem Vernehmen zufolge phänomenal.
Vater Wertheimer ist nicht nur ein erfolgreicher Unternehmer, sondern auch ein Visionär. In der industriellen Entwicklung sieht er eine wichtige Überlebensgarantie Israels. Deshalb fördert er sie nach Kräften in vier Industrieparks. Dort haben Existenzgründer, wie Wertheimer es vor über fünf Jahrzehnten war, inzwischen weit über hundert Firmen errichtet. Die flügge gewordenen Zöglinge des »Systems Stef« erzielen einen Gesamtumsatz von einer halben Milliarde Dollar.
Wie viel das Wort des alten Herrn in Israel gilt, hat dieser Tage die neue Erziehungsministerin Juli Tamir bewiesen. Zu ihren ersten Terminen gehörte ein Treffen mit Stef, von dem sie sich zum Thema Berufsausbildung beraten ließ. Industrie, Bildung und Wachstum sind für Wertheimer aber auch Werkzeuge, mit denen ein Frieden in Nahost untermauert werden muß. Von dem Industriellen stammt ein »Marshallplan für den Nahen Osten«, der Israels Nachbarn mit internationalen Aufbau- und Fördermaßnahmen zu Wohlstand und Stabilität verhelfen soll. Wertheimer hat auch gemeinsame Industrieansiedlungszonen, sogenannte Friedensparks, an Israels Grenzen zu Ägypten und dem Gasa-Streifen, Jordanien und dem Libanon angeregt.
Warum aber haben die so erfolgreichen Wertheimers ausgerechnet das Erfolgssymbol Iscar verkauft? Iscar will auf dem Weltmarkt expandieren. Ohne internationale Einbindung, wie sie Berkshire Hathaway biete, würde die Firma innerhalb einiger Jahre jedoch an die Grenzen des Wachstums stoßen, ließ Eitan Wertheimer verlauten. Es gibt aber wohl noch einen anderen Grund. Die israelische Wirtschaftszeitung »The Marker« bemerkte, die Übernahme der Geschäftsführung durch Angehörige der dritten Generation sei nicht in Sicht – ein Problem, das Familienunternehmen weltweit plagt. So hat sich die Familie entschlossen, 80 Prozent der IMC-Anteile zu verkaufen. Für das letzte Fünftel gibt es eine Übernahmeoption. Von den vier Milliarden Dollar (etwa 3,2 Milliarden Euro) wird Stef, wie er beteuert, keinen Cent sehen. Drei Milliarden fließen an seine Kinder, denen er den Betrieb übereignet hat, eine weitere geht als Steuer ans Finanzamt. Mit dem Geld erhalten die Wertheimers dennoch die Möglichkeit, neue Mittel in die Entwicklung des Landes zu stecken.