Antisemtismus

Von Luther zu Auschwitz

von Michael Wuliger

»Jeder kreativ tätige Mensch sollte darüber nachdenken, einmal im Leben ein Werk über die Schoa zu machen«, schreibt Dave Sim in der Einleitung zu seiner Graphic Novel Judenhass – Sim verwendet bewusst das deutsche Wort als Titel seines englischsprachigen Comics. Für den 52 Jahre alten Kanadier war der Anlass, sich mit dem Thema zu befassen, nicht eigene Betroffenheit. Sim ist Nichtjude. Aber, wie er in dem 56 Seiten langen Heft gleich zu Anfang bemerkt, ist sein Medium eines, das durch jüdische Künstler wesentlich geprägt wurde: Jerry Siegel und Joe Shuster, die Schöpfer von Superman, Bob Kane, der Erfinder von Batman, Max Gaines, der Gründer des Magazins MAD, Will Eisner, der Vater der Graphic Novel – sie und viele andere wären, hätten die Nazis ihr Werk vollenden können, in den Gaskammern gelandet.
Die Schoa war kein Zufall oder Ausreißer, so Sims Kernthese. Angesichts von 2.000 Jahren Judenfeindlichkeit in der abendländischen Kultur war Auschwitz, schreibt er, »unvermeidbar«. Diese Tradition belegt er mit zahlreichen Zitaten großer Figuren der westlichen Kultur, von Martin Luther (»Brennt ihre Synagogen nieder«), über Voltaire (»Die Hebräer sind von jeher Vagabunden, Räuber, Sklaven oder Aufrührer«), Mark Twain (»Der Jude ist geldgierig. Sein Erfolg macht die gesamte Menschheit zu seinem Feind«) bis zu T. S. Eliot (»Die Juden sind die treibenden Kräfte des Bösen in der modernen Welt«).
Unterlegt sind die Zitate dieser und vieler anderer prominenter Judenhasser mit Szenen aus den Vernichtungslagern. Anders als Art Spiegelman, der in seinem Schoa-Comic Maus mit allegorischen Bildern arbeitete, setzt Sim auf schnörkellosen Realismus. Die Bilder aus Auschwitz und anderen KZs basieren auf Film- und Fotodokumenten aus Dokumentationen und Archiven. Sim hat sie bis ins letzte Detail nachgezeichnet. Diese fotorealistische Verfremdung macht die eigentliche Stärke des Hefts aus. Selbst wer sich schon lange und intensiv mit der Schoa befasst hat und die Bilder aus anderen Zusammenhängen kennt, kann sich der emotionalen Wirkung der Zeichnungen nicht entziehen: Die Szenen wirken wie zum ersten Mal gesehen.
Das gilt um so mehr für die Passagen, in denen Sim sich nicht nur mit den Tätern wie Heinrich Himmler befasst, sondern auch mit den Zuschauern, die nichts taten, um zu helfen, besser, nichts tun wollten: der stellvertretende US-Außenminister Breckinridge Long etwa, der vor »exzessiver Humanität den Juden gegenüber« warnte und eine massenhafte Einwanderung Verfolgter in die USA erfolgreich verhinderte. Nicht besser verhielt sich die britische Regierung, die 1939 die jüdische Zuwanderung nach Palästina auf 10.000 Menschen pro Jahr begrenzte.
Judenhass endet in der Gegenwart mit Zitaten von Zeitgenossen, die ihren historischen Vorbildern durchaus das Wasser reichen können. Nicht nur Neonazis und Islamisten sind darunter, sondern auch ein schwarzer Kommunalpolitiker aus Chicago, der jüdischen Ärzten vorwarf, schwarze Patienten vorsätzlich mit AIDS infiziert zu haben. Oder die britische Hochschuldozentin Sue Blackwell: »Israelis können nicht erwarten, als normale Bürger eines normalen Staates behandelt zu werden.«
Dave Sim ist mit Judenhass für das Genre der Graphic Novel gelungen, was Raoul Hilberg in der Wissenschaft, Imre Kertész in der Belletristik und Alain Resnais im Film geleistet haben: Die Schoa aus der musealen Gedenksphäre auf die Ebene der Nacherlebbarkeit zu heben.

»Judenhass« ist in Comicläden erhältlich. Nähere Informationen auf Dave Sims Website www.judenhass.com

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