Kennen Sie Laer? Es ist eine 7.000 Seelen-Gemeinde, die mit Coesfeld im Westen, Münster im Osten die nördliche Spitze eines geografischen Dreiecks bildet. Man sollte Laer jedoch kennen, schließlich ist es schon fast 1.000 Jahre alt und hat eine interessante jüdische Geschichte, wie man seit neuestem aus dem Buch Fünf Generationen Juden in Laer erfahren kann. Geschrieben haben es der Judaist Diethard Aschoff und die Historikerin Gisela Möllenhoff von der Universität Münster.
Das Buch umspannt die Zeit von 1803 bis 1942 und hat seinen Dreh- und Angelpunkt in der Geschichte von Irmgard Ohl, geborene Heimbach. Ihre Geschichte bildet den authentischen Kern des Buches. Die heute 80-Jährige erzählt vom 9. November 1938 aus der Sicht eines Schulkindes und über Deportation und KZ-Haft, die sie als junge Frau erleben musste. Über ihre Zeitzeugenschaft hinaus gibt es so gut wie keine persönlichen Zeugnisse aus jüdischer Sicht. Auch die Recherchen zu den rund sieben jüdischen Familien, die über die Jahrzehnte in Laer lebten, waren äußerst schwierig. »Die Beseitigung der Spuren, die hiervon hätten Kunde geben können, war in Laer gründlich und perfekt, so als ob das Dorf damals nicht zum Hitlerreich gehörte, kein Wort zum Novemberpogrom 1938. Auch zum Verhalten der nichtjüdischen Organisationen hätten wir gern etwas erfahren«, stellt Diethard Aschoff vom Institutum Judaicum Delitzschianum Münster fest.
Dass man trotzdem die Geschichte der Großfamilie Heimbach erstellen konnte, sei der unermüdlichen Recherchearbeit, Gisela Möllenhoffs zahlreichen Interviews mit Holocaustüberlebenden zu verdanken sowie den Erinnerungen von Irmgard Ohl. Ihre Familie väterlicherseites lebte in dem westfälischen Ort seit fünf Generationen. Zu ihnen gehörten ihre Eltern Siegfried Heimbach und ihre Mutter Henny, geborene Wolff. Die aus Laer stammende Großfamilie wurde innerhalb einer Generation über alle Erdteile verstreut, von Melbourne in Australien bis Cuenca in Ecuador.
Seine Eindringlichkeit jedoch verdankt das Buch Irmgard Ohls intensivem Bericht über ihre dreieinhalbjährige KZ-Haft in Riga und Stutthof sowie dem anschließenden Todesmarsch. Den Lebenserinnerungen voraus geht die Geschichte der Juden in Laer sowie ein Kapitel über Auswanderung, Emigration und Ermordung. »Das Buch dürfte für jeden der Heimatgeschichte aufgeschlossenen Bürger der Stadt einiges bieten«, sagte Diethard Aschoff bei der Buchvorstellung. Doch auch über das Münsterland hinaus ist es ein wertvolles Mosaiksteinchen, um das Judentum auf dem Land und in Laer kennenzulernen. hso
diethard aschoff, gisela möllenhoff: fünf generationen juden in laer; mit einem autobiographischen beitrag von irmgard ohl
Lit-Verlag, Münster 2007, 280 S., 17.90 €