Venezuela

Von Jesus und Bolívar

von Harald Neuber

Hugo Chávez polarisiert. Seit seinem Amtsantritt vor sieben Jahren ist der venezolanische Präsident zum Hoffnungsträger der verarmten Teile der Bevölkerung im eigenen Land und zum Referenzpunkt der Globalisierungskritiker weltweit avanciert. Zugleich stößt der ehemalige Militär mit der Abkehr von der wirtschaftsliberalen Doktrin und seiner Rhetorik gegen die US-Außenpolitik auf radikale Ablehnung bei seinen politischen Gegnern. Nun hat der Konflikt um Chávez auch die jüdische Gemeinde erfaßt.
Ausgelöst wurde die Eskalation durch eine öffentliche Erklärung des lateinamerikanischen Regionalbüros des Simon Wiesenthal-Zentrums Anfang Januar. Von Buenos Aires aus protestierte dessen Vertreter Sergio Widder gegen die Passage einer Chávez-Rede. Während des Besuchs eines sozialpädagogischen Zentrums hatte Chávez am 24. Dezember gesagt: »Die Welt hat genug für alle, aber einige Minderheiten, die Nachkommen derselben, die Christus kreuzigten, die Nachkommen derer, die (den General der antikolonialen Truppen Simón) Bolívar von hier vertrieben und ihn auf ihre Weise in Santa Marta in Kolumbien kreuzigten, diese Minderheiten eignen sich die Reichtümer der Welt an.« Das Wiesenthal-Zentrum protestierte daraufhin gegen »mittelalterliche und reaktionäre Sprache«, »antisemitische Stellungnahmen« und »rassistische Konzepte«. Doch die Reaktion fiel anders aus als erwartet. Denn auch Freddy Pressner, der Präsident des Bundes der Israelitischen Vereine Venezuelas (CAIV), protestierte vehement – allerdings nicht gegen Chávez, sondern gegen die Erklärung des Wiesenthal-Zentrums.
Die Gemeinde fühle sich »politisch mißbraucht«, »übergangen« und fürchte »Schaden für unsere Arbeit«, beklagte Pressner. Zum dritten Mal binnen 15 Monaten habe das Wiesenthal-Zentrum »in Unkenntnis der Lage und der Meinungen vor Ort« die venezolanische Regierung attackiert, beklagte der Gemeindevertreter. »Wir haben große Achtung vor Simon Wiesenthal und seinem Werk«, sagte Pressner, »aber wir haben auch das Gefühl, daß das Zentrum nach dem Tod seines Gründers im vergangenen September massiv an Seriosität verliert«. Die Rede von Chávez habe man nicht als antisemitisch aufgefaßt, meinte Pressner im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen. Der Staatschef habe sich eher metaphorisch auf den Konflikt zwischen herrschenden Gesellschaftsschichten und ausgegrenzten Teilen der Bevölkerung bezogen. Diese Rhetorik sei aus der christlichen Theologie der Befreiung bekannt. Aus den USA bekam Pressner Unterstützung vom Amerikanisch-Jüdischen Kongreß und dem Amerikanisch-Jüdischen Komitee. »Unserer Meinung nach hat Chávez nicht bewußt über Juden gesprochen«, sagte auch David Twesky vom »AJCommittee« dem in New York erscheinenden jüdischen Traditionsblatt Forward.
Abgesehen von dieser internationalen Debatte ist der Konflikt um die Haltung zur sozialreformerischen Regierung Chávez – wenn auch weniger offen – auch innerhalb der jüdischen Gemeinde Venezuelas entbrannt. In einer Replik auf den Protestbrief Pressners meldete sich Mitte Januar die dritte Vizepräsidentin des CAIV zu Wort. Der Brief des CAIV-Präsidenten sei »auf autoritäre und eigenmächtige Weise« entstanden, schrieb Paulina Gamus, er reflektiere keineswegs die Meinung der gesamten Gemeinde. »Ich weise dieses feige und verächtliche Schreiben einer Splittergruppe zurück, die zum Glück eine Minderheitenmeinung vertritt und in deren Hände zum Ungemach aller die Führung der Gemeinde gefallen ist«, so Gamus, die nun um Unterstützung für ihren Protest wirbt.
Allerdings scheint auch diese Initiative politisch motiviert. Bis Dezember 2000 gehörte Gamus dem Vorstand der Oppositionspartei »Acción Democrática« (Demokratische Aktion) an. Nach Angaben der regierungskritischen Tageszeitung El Universal ist sie derzeit führend bei Initiativen der Opposition aktiv. So droht die jüdische Gemeinde in den Strudel politischer Auseinandersetzungen gezogen zu werden, die Venezuela vor den Präsidentschaftswahlen im Dezember bevorstehen.

Kultur

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 19. Dezember bis zum 2. Januar

 23.12.2024

Debatte

Schweden stoppt Unterstützung von UNRWA

Hintergrund des Schrittes ist die Entscheidung Israels, der UNRWA wegen ihrer Verwirklichung in den palästinensischen Terror jegliche Tätigkeit auf israelischem Territorium zu untersagen

 20.12.2024

Kunst

Leitung der documenta 16 wird heute bekanntgegeben 

Wer wird die nächste documenta kuratieren? Die Findungskommission der für 2027 geplanten Schau will ihre Entscheidung jetzt bekanntgeben

von Nicole Schippers  17.12.2024

Nach Assad-Sturz

Libanesischer Politiker ruft Landsleute zur Rückkehr auf

Im von zahlreichen Krisen geplagten Libanon herrscht neue Zuversicht. Nach den Worten eines wichtigen Politikers ist die Weihnachtsfreude in diesem Jahr gar »doppelt so groß«

 17.12.2024

Berlin

Chanukka-Basar in der Synagoge Pestalozzistraße: Kuchen, koscherer Glühwein und ein Bühnenprogramm

Am Sonntag findet der Basar im Innenhof der Synagoge statt. Es gibt ein vielfältiges Bühnenprogramm. Auch die »The Swinging Hermlins« werden auftreten

von Christine Schmitt  13.12.2024

Thüringen

Mario Voigt mit Stimmen der Linken zum Ministerpräsident gewählt

Der CDU-Politiker brauchte nur einen Wahlgang

 12.12.2024

Antisemitismus

RIAS: AfD ist eine Gefahr für Juden in Deutschland

Die Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus präsentierte auch neue Zahlen zu antisemitischen Vorfällen

 11.12.2024

Amsterdam

Nach antisemitischer Hetzjagd: Haftstrafen für drei Angeklagte gefordert

Einen Monat nach den Übergriffen stehen nun sieben Menschen vor Gericht

 11.12.2024

Brandenburg

Antisemitismusbeauftragter fordert Priorisierung der Bildungsarbeit

Auch die Sicherheit jüdischer Einrichtungen und Menschen müsse gewährleistet werden, sagte Büttner

 10.12.2024