von Katrin Richter
Der Fragebogen ist etwas zerknittert. Die Schrift noch etwas kindlich, aber einige schnelle Zacken verraten insgeheim die Eigenheiten eines fast Erwachsenen. Ordentlich hat der Schüler der Klasse R7c alle Fragen beantwortet, hat angekreuzt und Bemerkungen gemacht: Was für ihn unverständlich war, wie die Zeichnungen auf ihn gewirkt haben, alles steht sorgfältig untereinander. Mit ernstem Gesichtsausdruck stützt sich seine Geschichtslehrerin Dilek Geyik auf die ausgefüllten Fragebögen ihrer Schüler: »Die meisten, ja fast alle in der Klasse konnten mit dem Comic etwas anfangen.«
Damit ist nicht irgendein Comic gemeint, sondern die Graphic Novel Die Suche, die der niederländische Autor Ruud van der Rol, zusammen mit dem ebenfalls aus den Niederlanden stammenden Zeichner Eric Heuvel geschrieben hat. Darin wird die fiktive Geschichte der jüdischen Familie Hecht während des Nationalsozialismus erzählt. In Deutschland ist der Comic im vergangenen Jahr im Berliner Anne-Frank-Zentrum erschienen und wurde im Auftrag des Amsterdamer Anne-Frank-Hauses an rund 20 Schulen in Nordrhein-Westfalen und Berlin im Geschichtsunterricht getestet. Aus der Testphase, die sich über einen Zeitraum von sechs Monaten, von Januar bis Juli 2008 erstreckte, sind nun in Berlin die Ergebnisse vorgestellt worden.
Thomas Heppner, der Leiter des Anne-Frank-Zentrums, zeigt sich zufrieden: »Das Projekt ist sehr erfolgreich verlaufen.« Heppner unterstützt seit Langem den Einsatz bisher eher als unkonventionell angesehener Lehrmittel, wie einer Graphic Novel, im Unterricht. Die Geschichte von Esther und Bob, den beiden Hauptfiguren, lasse die Handlungsspielräume von Tätern, Zuschauern, von Verfolgten und ihren Helfern anschaulich werden, erklärt Heppner. Zum Comic, der an Förder-, Haupt-, und Realschulen und Gymnasien getestet wurde, sind auch Arbeitsmaterialien erschienen, die nach der abgeschlossenen Testphase überarbeitet werden sollen, um den Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, sich noch besser in die Personen hineinzuversetzen. Dilek Geylik lehrt an der Wildmeister-Liebig-Schule, einer Hauptschule in Berlin. Die Klasse ist gemischt, Schüler mit und ohne sogenanntem Migrationshintergrund besuchen den Geschichtsunterricht.
Für Geylik ist der Comic eine Chance, den Unterricht gerade bei dem schwierigen Thema Holocaust anschaulich zu gestalten. »Wir haben uns, bevor wir den Comic gelesen haben, intensiv mit dem Leben Anne Franks auseinandergesetzt und waren auch im Anne-Frank-Zentrum«, sagt die Lehrerin. Über den Umgang ihrer Schüler mit dem Comic kann sie sich nur positiv äußern: »Die Geschichte von Esther und Bob hat sie sehr berührt. Alle Schüler waren neugierig und haben den Comic voller Spannung verfolgt.« Anfangs gab es aber auch Bedenken. »Ein Schüler hatte gefragt, warum man gerade im Geschichtsunterricht mit einem Comic arbeitet«, sagt Geylik. Und damit hat er den Nagel auf den Kopf getroffen. Denn der Comic hat sich als Unterrichtsmaterial noch nicht wirklich etabliert. Einige Schulen setzten auf andere Arbeitsmappen, wie die von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegebenen Hefte zum Antisemitismus. Auch hier gibt es, wie bei Die Suche Fragestellungen zum Holocaust. Fragen, die die Jugendlichen sehr berühren. Geylik erzählt, wie sich besonders Schüler mit sogenanntem Migrationshintergrund mit Fragen auseinandergesetzt haben, die die Ausgrenzung betreffen. »Ich habe in meinem Unterricht darauf geachtet, so viel Diskussionsraum wie möglich zu schaffen, um alles Unverständliche aufzuklären.« Viele Schüler hätten sich trotzdem mehr Faktenvermittlung in den Arbeitsunterlagen gewünscht.
Auch Matthias Kaiser, Lehrer für Deutsch und Geschichte am Ville-Gymnasium in Erfstadt, hat mit seiner 10. Klasse Die Suche als Abschluss zum Themengebiet Holocaust gelesen. »Meine Schüler hatten aus dem Deutschunterricht schon viel Faktenwissen.« Bedenken, eine Graphic Novel, wie Die Suche im Unterricht einzusetzen, gab es nicht. »Das Echo war durchweg sehr gut.« Kaiser findet, dass die Arbeitsmaterialien zwar überarbeitet werden müssten, hält sie aber generell für eine gute Grundlage, um den eigenen Geschichtsunterricht zu gestalten.
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