Von Jörg Schurig
Im Sommer 1941 haben die Nazis eines ihrer Verbrechen auf Millimeterpapier dokumentiert. Die Hartheim-Statistik zeigt, welche Einsparungen sich an Lebensmitteln erzielen lassen, wenn geistig behinderte Menschen nicht mehr ernährt werden müssen. In unterschiedlichen Farben sind die Zahlen der »Desinfizierten« in den
Anstalten Pirna-Sonnenstein, Bernburg, Hartheim und Hadamar notiert. Mit »Desinfizierten« waren Menschen gemeint, die beim sogenannten Euthanasie-Programm der Nazis vergast worden waren.
Das Blatt Millimeterpapier gehört zu rund 400 Exponaten, die das United States Holocaust Memorial Museum Washington D.C. erstmals außerhalb Nordamerikas zeigt. Zu sehen sind sie seit voriger Woche in der Ausstellung Tödliche Medizin. Rassenwahn im Nationalsozialismus im Hygiene-Museum Dresden.
Euthanasie, »Erbgesundheit« und schließlich die »Endlösung«, die im letzten Teil der Ausstellung thematisiert wird, waren, das zeigt die Schau, im Denken der Nationalsozialisten organisch miteinander verbunden. Ärzte, Erbforscher, Ideologen und Schreibtischtäter arbeiteten gemeinsam daran, die »arische Herrenrasse rein zu halten«. Nicht nur von »Fremdvölkischen« wie Slawen und Juden, sondern auch von »lebensunwerten« eigenen »Volksgenossen«: Von 1933 bis 1945 ermordeten die Nazis mehr als 200.000 behinderte Deutsche im Zuge der Euthanasie, 400.000 weitere wurden Opfer von Zwangssterilisationen. Das Volk wurde durch Propaganda auf den massenhaften »Gnadentod« eingestimmt: Artikel in den Zeitungen, Plakate, Filme und Ausstellungen – unter anderem damals auch in Dresden. »Auch das Deutsche Hygiene-Museum war eine Täterinstitution«, sagt Museumschef Klaus Vogel. Es habe im Dritten Reich mit Unterrichtsmaterial, Filmen und Ausstellungen progagiertwas »lebenswert« war oder nicht. Gerade deshalb, so Vogel, habe man sich besonders intensiv um die amerikanische Ausstellung bemüht.
»Es gibt Momente, wo es einem kalt den Rücken herunterläuft«, sagt Antje Uhlig, die die Ausstellung für Dresden eingerichtet hat. Da gibt es zum Beispiel die Fotoserie, die zeigt, wie Psychiatriepatienten im okkupierten Weißrußland zur Vergasung gebracht werden. Ein Mann lächelt den Fotografen geradezu an. Auch das Bild der jungen Frau mit Kind kurz vor einer Massenerschießung in Lubni (Ukraine) läßt den Betrachter nicht los. Am Ausgang hängen Fotos und Biographien von Vordenkern und Tätern. Für viele ging nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Forscherkarriere weiter.
Bis 24. Juni 2007 ist die Ausstellung zu sehen. »In den USA und Kanada haben 720.000 Menschen die Ausstellung gesehen«, berichtet die amerikanische Kuratorin Susan Bachrach. Auch in Dresden hofft man auf viele, vor allem junge Besucher. Denn das Hygiene-Museum versteht die Ausstellung auch als Beitrag im Kampf gegen aktuelle Versuche, die Verbrechen der Nazis zu leugnen oder zu verharmlosen. »Wir sollten alle Chancen nutzen, die Menschen aufzuklären und klarzumachen, was Ausgrenzung und Rassenhaß bedeuten«, sagt Museumschef Vogel.
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