von Wladimir Struminski
Wer Modi’in besucht, mag zuerst glauben, in ein kleines Kaff zu kommen. Die Einfahrt ist unspektakulär. Links und rechts der schmalen Überlandstraße, die vom Süden her in die Stadt führt, liegen steinige Hügel, hier und dort mit nahöstlich karger Vegetation bedeckt. Dann tauchen die ersten kleinen Reihenhäuschen auf. Etwas weiter sind niedliche drei- und vierstöckige Mehrfamilienhäuser zu finden, viele mit dem weiß leuchtenden Jerusalemer Stein verkleidet, andere nach Tel Aviver Art mit angestrichenen Fassaden. Dann aber, nach einer langen Rechtskurve, springt einem der wuchtige Hasmonäerboulevard regelrecht ins Gesicht. Bauherren setzen hier eine Betonburg neben die andere, Baukran um Baukran ragt in den Himmel. Kein Zweifel: Hier entsteht kein Städtchen, sondern eine Metropole.
»Modi’in ist für 250.000 Menschen ausgelegt«, sagt Moshe Spector, seit drei Jahren Bürgermeister der aufstrebenden Gemeinde. Seit Modi’in gegründet wurde, ist die Einwohnerzahl von 0 auf heute 70.000 gestiegen. Bis 2010, glaubt Spector, beträgt die Stadtbevölkerung 120.000.
Das Besondere an der Gemeinde Modi’in ist aber nicht nur ihr rasantes Wachstum, sondern auch die Reißbrett-Geburt. Mit Modi’in wurde erstmals in Israels Geschichte eine Großstadt Straßenzug um Straßenzug geplant, bevor die Bagger auffahren durften. Ob Wohnsiedlungen oder Geschäftszentren, Grünanlagen, Schulen oder Gewerbezonen: Nichts wurde dem Zufall überlassen. Ein Großteil der Hochhäuser soll in Tälern versteckt werden, um die Aussicht nicht zu verschandeln. Einer unkontrollierten Ausdehnung der Bebauungsflächen schoben die Architekten einen Riegel vor: Selbst nachdem Modi’in voll besiedelt ist, machen die Grünflächen 60 Prozent des Stadtgebiets aus. Für Raum zum Durchatmen sorgt auch die großzügige Bodenzuteilung: Mit 54 Quadratkilometern ist Modi’in etwas größer als Tel Aviv.
Die Reißbrett-Stadt bietet aber auch andere Vorteile, nicht zuletzt ihre Lage auf halber Strecke zwischen Tel Aviv und Jerusalem. Wer seinen Wohnort in die junge Gemeinde verlegt, braucht sich von seinem Broterwerb in der Küstenebene oder in der Hauptstadt nicht zu verabschieden. »Für uns war Modi’in ideal«, erklärt Rivka, Tel Aviver Büroangestellte, deren Mann in Jerusalem arbeitet. »Als wir geheiratet haben, konnten wir beide unseren Job behalten, indem wir hierher zogen.« Ab kommendem Sommer, freut sich Rivka, erhält ihre Wahlheimat den heiß ersehnten Bahnanschluss nach Tel Aviv. »Mit der Bahn bin ich in 20 Minuten im Herzen Tel Avivs, an den Verkehrsstaus vorbei.« In drei Jahren soll auch der Bahnanschluss an Jerusalem bereit stehen. Auch Batja, geschiedene Mutter eines achtjährigen Jungen, spielt mit dem Gedanken, ein Domizil in Modi’in zu erstehen. »Die Wohnungen«, weiß sie, »sind viel billiger als in Jerusalem, und die Schulen viel besser. Damit kann ich Adam einen besseren Start im Leben verschaffen.« Dafür nimmt sie auch den Abschied vom angestammten Freundeskreis in Kauf. Das Nachtleben von Modi’in findet die Endzwanzigerin zwar öde, doch tröstet sie sich: »Tel Aviv ist nicht weit.« So ist es kein Wunder, dass Modi’in ein Magnet für Menschen aus allen Landesteilen ist. Jeder fünfte Ortsbewohner ist aus Jerusalem, knapp jeder Dritte aus dem Ballungsraum Tel Aviv und der Rest kommt aus anderen Regionen und als Neueinwanderer aus dem Ausland.
Bietet Modi’in also eine Vorlage dafür, wie auch andere israelische Städte eines Tages aussehen könnten? Wohl kaum, meint Geografieprofessor Oren Yiftahel. »Modi’in«, so der Wissenschaftler aus Beer Schewa, »wurde mit einem Vorschusskapital auf den Weg geschickt, das die Entwicklungsstädte eben nicht haben. Daher konnte es eine sozioökonomisch starke Bevölkerung anziehen.«
In der Tat: Sechs von zehn erwachsenen Modi’inern sind Akademiker. »Rund 90 Prozent der Hausbesitzer«, so die städtische Werbebroschüre »sind junge, einkommensstarke Familien, die typischerweise aus zwei Kindern und Eltern im Alter zwischen 24 und 44 Jahren bestehen.« Davon können Entwicklungsstädte nur träumen. Ein weiterer Unterschied, so Yiftahel: »Nach Modi’in gehen die Menschen freiwillig. In die Entwicklungsstädte wurden die Immigranten seinerzeit geschickt. In den neunziger Jahren wiederholte sich die Geschichte, als der Staat arme Einwanderer aus der Ex-Sowjetunion in den Entwicklungsstädten unterbrachte. Das hat sie weiter belastet.«
Dass Modi’in gute Startbedingungen hatte, bestreitet Bürgermeister Spector nicht. Die Vorstellung von einem Reichenghetto auf staatlich finanzierter Überholspur weist er aber als Zerrbild zurück. »Ihren Erfolg hat unsere Stadt auch dem Engagement ihrer Bürger und vorausschauender Planung zu verdanken. Das geht auch anderswo.«