Judentum

Vom Staat privilegiert

von Norbert Janz

Es läßt sich nicht leugnen: Rechtswissenschaftliche Dissertationen stehen nicht im Ruf, jenseits des juristischen Tellerrandes nennenswertes gesellschaftliches Interesse hervorzurufen. Anders könnte es sich bei der Dissertation von Angelika Günzel verhalten. Die Autorin untersucht darin den Charakter des religionsrechtlichen Systems in Israel. Es geht ihr um die Beziehungen des Staates zu den Religionsgemeinschaften im Land. Nach eigener Zielsetzung soll konkret der Frage nachgegangen werden, ob Juden in Israel privilegiert sind.
Die Stellung der Religion in Israel ist einzigartig: Die Mehrheit der Bürger, genauer: 77 %, ist jüdischen Glaubens. Daneben sind weitere Glaubensrichtungen vertreten: 16 % Moslems, 2 % Christen ver- schiedener Konfessionen und 1,6 % Drusen. Entgegen landläufiger Ansicht erweist sich Israel demographisch trotz jüdischer Dominanz nicht als religiös homogen. Etwas anders stellt sich die Situation in Deutschland dar – das Land, in dem nur noch etwa die Hälfte der Bevölkerung einer christlichen Kirche angehört und zudem seit Jahrzehnten eine massive Erosion des institutionalisierten Glaubens zu beobachten ist. Eine entsprechende Entwicklung ist in Israel nicht zu gewärtigen.
Günzel nähert sich der gestellten Aufgabe in vier Kapiteln. So deckt sie zunächst die geschichtliche Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Religion in Israel auf, und zwar ausgehend von der Osmanischen Periode. Sodann werden die rechtlichen Grundlagen dargelegt, wobei die Autorin – der Thematik ihrer Arbeit geschul- det – die individuelle Religionsfreiheit ausblendet. Israel besitzt im Gegensatz zu Deutschland keine geschriebene Verfassung, so daß der Schutz der kollektiven Religionsfreiheit überwiegend aus einfachen Gesetzen und aus dem Richterrecht begründet ist.
Im zweiten Kapitel erhält der Leser einen Überblick über Status und Organisation der Religionsgemeinschaften im allgemeinen. Israel unterscheide die staatlich anerkannte Religionsgemeinschaft und die staatlich anerkannte Religion. Letztlich werde mit diesen beiden Kategorien jede Glaubensgemeinschaft erfaßt. Neben der jüdischen Religion sind mithin eine Vielzahl weiterer Religionsgemeinschaften anerkannt, als Religion jedoch nur Juden, Moslems und Drusen. Dieser Status komme den christlichen Gemeinschaften nicht zu. Präzise zeichnet Günzel die Voraussetzungen für eine staatliche Anerkennung nach und benennt die sich aus dieser hoheitlichen Wertschätzung ergebenden Vorteile.
Ein besonderes Augenmerk wird zu Recht auf die Gerichtsbarkeit der staatlich anerkannten Religionen gerichtet. Neben diesen Religionen besitzen aber auch einige christliche Gemeinschaften eine eigene Gerichtsbarkeit. Insbesondere die jeweiligen religiösen Gerichte stellen einen integralen Bestandteil des staatlichen Gerichtssystems dar – ein Gedanke, der der deutschen Rechtsordnung weitgehend fremd ist. Denn für Fragen der Eheschließung und -scheidung sind in Israel exklusiv die religiösen Gerichte zuständig. Diese handeln dann auch als staatliche Organe. Das bedeutet, daß etwa die Richter einen Treueid gegenüber dem Staat Israel leisten. Das gilt für Juden gleichermaßen wie für Moslems und Drusen. Ferner werden die Gerichte auch aus dem Staatshaushalt finanziert. Sie wenden das eigene religiöse Recht an, welches nur punktuell durch staatlich gesetztes Recht beschnitten wird. Die Zivilehe ist in Israel unbekannt. Eheschließungen sind nur zwischen Mitgliedern derselben Religion möglich, und zwar ausschließlich in einer religiösen Zeremonie durch einen staatlich anerkannten Geistlichen.
In einem dritten Teil wendet sich die Autorin dem Status und der Organisation einzelner Religionsgemeinschaften zu. Diese werden instruktiv und umfassend erörtert, wobei die jüdische Gemeinschaft besonders ausführlich gewürdigt wird. Günzel stellt in diesem Kontext zutreffend die Vorherrschaft der Orthodoxie heraus. Sie skizziert Aufgaben und Stellung des Oberrabinats sowie der jüdischen Räte. Sodann wendet sich die Autorin den Rabbinatsgerichten zu. Die Vermählung jüdischer Paare wird eben nur dann anerkannt, wenn sie auch durch einen orthodoxen Rabbiner akzeptiert wird. Erst Anfang Juli hatte die Knesset einen Gesetzesentwurf zur Einführung der Zivilehe wieder abgelehnt. In Deutschland hingegen wurde die standesamtliche Ehe im Zuge des Kulturkampfs bereits im Jahr 1875 als obligatorisch eingeführt. Insgesamt sei festzustellen, so Günzel, daß der Staat der jüdischen Gemeinschaft in organisatorischer Hinsicht sehr entgegenkomme.
Die verschiedenartige Einstellung der jüdischen Bürger zu ihrer Religion findet leider keine Erwähnung – ultraorthodoxe wie säkulare Juden werden also über einen Kamm geschoren. Dies ist bedauerlich. Paare, die sich vor einem Reform- oder konservativen Rabbiner das Jawort gaben, werden hingegen vor dem Gesetz nicht als Eheleute betrachtet.
Abschließend wertet Günzel die erzielten Befunde aus: Dabei zeige sich, daß Israel trotz seines jüdischen Charakters mitnichten eine Staatsreligion besitze, son- dern vielmehr ein säkularer Staat sei. Es bestehe eine Trennung von Staat und Religion bei gleichzeitiger Kooperation des Staates mit den Religionsgemeinschaften. Zwar komme die jüdische Gemeinschaft dem Staat streckenweise näher als die anderen Religionsgemeinschaften, jedoch reiche der Grad dieser Nähe nicht aus, um dem Judentum die Züge einer Staatsreligion zuzuerkennen.
Ein Manko der Arbeit ist es, daß die Autorin keinerlei Parallelen zum deutschen System der sogenannten hinkenden Trennung von Staat und Kirche gezogen hat. Die deutsche Religionsverfassung ist seit 1919 systematisch zwischen staatskirchlichen und laizistischen Rechtsordnungen anzusiedeln. Auch wenn diese beiden Länder weder in demographischer noch in verfassungsrechtlicher Hinsicht vergleichbar sind, werden hier wie dort Religionsgemeinschaften in eine staatliche Obhut genommen und anderen gegenüber bevorzugt. Das deutsche Grundgesetz bietet unter bestimmten Voraussetzungen Religionsgemeinschaften die Möglichkeit, den Rechtsstatus einer Körperschaft des öffentlichen Rechtes verliehen zu bekommen. Damit verbunden sind etwa Vergünstigungen wie ein eigenes Besteuerungsrecht und eine Rechtsetzungsautonomie, Dienstherrenfähigkeit sowie Insolvenzunfähigkeit. Hinzu kommt, daß die Körperschaft des öffentlichen Rechts einer besonderen Wertschätzung des Staates unter-
liegt und zudem in der Öffentlichkeit als Ausdruck eines verdienten Vertrauens besonders positiv besetzt ist.
Dabei zeigten sich deutsche Behörden bisher zurückhaltend mit der Verleihung des Körperschaftsstatus. Trotz verschiedener Bemühungen haben bislang nur christliche und jüdische Gemeinschaften diesen Rang verliehen bekommen. Die Bundesrepublik Deutschland und Israel blicken bald auf 60 Jahre Geschichte zurück. Übereinstimmungen und Brüche zwischen den beiden Rechtsordnungen hätten gerade im Rahmen einer deutschen rechtswissenschaftlichen Dissertation gewinnbringend aufgezeigt werden können.
Die zentrale These Günzels einer fehlenden Staatsreligion in Israel wird nicht unwidersprochen bleiben. Denn die faktisch wie rechtlich starke jüdische Prägung Israels einschließlich der institutionellen Nähe von Staat und jüdischer Religion sowie nicht zuletzt das Selbstverständnis der Bürger legen den Schluß auf eine abgeschwächte Staatsreligion nahe. Auch der Blick auf die Hintergründe der Staatsgründung 1948 weist in diese Richtung. Daß Israel auch nichtjüdischen Glaubensrichtungen bestimmte Privilegien einräumt, ist unmittelbare Folge des Rechtsstaatsprinzips, vermag aber an der grundsätzlichen Einschätzung nichts zu ändern. Nur am Rande sei darauf hingewiesen, daß unterschiedliche rechtliche Konsequenzen einer solchen entgegengesetzten Bestimmung nicht auszumachen sind und von Günzel auch nicht benannt werden. Damit liegt wohl ein Streit um des Kaisers Bart vor.
Insgesamt zeigt das Buch das facettenreiche Bild des israelischen religionsrechtlichen Systems auf. Im deutschsprachigen Raum steht es damit weitgehend konkurrenzlos da. Die Hauptthese von einem letztlich säkularen israelischen Staat mag man bezweifeln.

Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Juristischen Fakultät der Universität Potsdam

Angelika Günzel: Religionsgemeinschaften in Israel, Tübingen, Verlag Mohr Siebeck, 2005, 342 Seiten, 64 Euro.

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