von Marina Maisel
Das Jahr 2006 war für die Jüdische Gemeinde in München ein ganz besonderes. Höhepunkt war am 9. November die Einweihung der neuen Synagoge am Jakobsplatz. Wenige Tage später strömten die Münchner zu Tausenden ins neue Gemeindezentrum. Begeistert waren sie nicht nur von der Architektur, sondern auch vom Leben, das hier pulsiert.
»Neshama«, zu Deutsch Seele, wurde hier sichtbar: Der orangefarbene Schriftzug leuchtete auf den blaufarbenen T-Shirts der 70 Kinder, die die Besucher mit ihren Spielen mitrissen. »Die Seele lebt«, steht auf der Vorderseite. Und das ist nicht nur ein Slogan. Die Kinder und Jugendlichen zwischen sieben und achtzehn Jahren sind sehr begeistert von dem Programm, das Lorin Nezer, der neue Rosch, der Leiter, schon vor seinem offiziellen Amtsantritt zum Schuljahresbeginn mit ihnen durchzog. Da waren zum Beispiel Reisen nach Florenz und nach Prag und verschiedene Workshops.
Wer die Arbeit des Jugendzentrums schon länger verfolgt hatte, dem fiel es zunächst nicht ganz leicht, zu begreifen, was sich mit Lorin Nezer geändert hat. Denn vielfältige Aktivitäten gab es hier schon immer. Doch der Chef des Jugendzentrums, Stanislav Skibinski, bringt es auf einen einfachen Nenner: »Neshama ist eine selbstverwaltete Jugendorganisation, die ihre Programme selbst bestimmt, vorbereitet und durchführt. Wir als Jugendzentrum leisten pädagogische, methodische und organisatorische Unterstützung.« Die Gründung von »Neshama« – der Zusammenschluss verschiedener Gruppen des Jugendzentrums unter eben dieser Leitidee – ist für Skibinski »ganz zweifellos die bedeutendste Aktion des Jahres«.
Siebzig Neshumniks, so nennen sich die Kinder und Jugendlichen von »Neshama«, sind auf fünf Gruppen (Kwuzot) verteilt. Sie treffen sich jeden Sonntag, zunächst noch im alten Jugendzentrum. Bald steht aber der Umzug in die neuen Räume am Jakobsplatz an. Wie schön es dort ist, konnten sie an den Tagen der Begegnung ja bereits erleben.
Was sie alles auf die Beine stellen, das halten sie in einem ihrer ganz besonderen Projekte in Wort und Bild fest: Alle zwei Monate erscheint – selbstverständlich im Teamwork – die gleichnamige Zeitschrift »Neshama«. Eine Website gibt es übrigens auch: www.neshumnik.de. Die Zeitschrift, die in einer Auflage von 1.000 Exemplaren erscheint, ist Chronik, Kommunikationsmittel und für diejenigen, die die neue Art der Jugendarbeit noch nicht kennen, die beste Werbung. Hier berichten sie über die jeweils aktuellen Events. In der nächsten Nummer werden die gemeinsam mit Maccabi veranstaltete erfolgreiche Socca5Night und die Jewish Story Time vom 22. bis 26. Dezember im oberbayerischen Inntal Schwerpunkte sein. Fünf Tage lang waren die Neshumniks dort, um ihre jüdische Identität besser kennen zu lernen. Ein Erzähler, der eigens aus Israel gekommen ist, trug jeden Abend alte, chassidische Geschichten vor.
Das Programm kam sehr gut an. Und das bei den so unterschiedlichen Altersgruppen gleichermaßen. Da hat es gar keine Rolle gespielt, ob ein Teilnehmer nun sieben oder achtzehn Jahre alt war. Sie alle hatten am Ende der fünf Tage nur eine Frage: »Warum war alles so kurz?« Stolz ist Lorin Nezer darauf, wie gut die Story Time gelungen ist, und dass alle gemeinsam ohne Sprachprobleme oder Ausgrenzungen in jüdisches Leben und Jidischkeit eintauchen konnten.
»Neshama« hat zusätzlich Impulse in die Jugendarbeit gebracht. Der Name ist glückliches Omen. Denn dieses Projekt ist tatsächlich jetzt schon auf dem besten Weg, die junge Seele der Gemeinde zu werden und jüdische Identität zu wecken, zu fördern und zu festigen.
Mit »Neshama« setzt Jugendzentrumsleiter Stanislav Skibinski in Zusammenarbeit mit Jugendleiter Lorin Nezer einen zusätzlichen Akzent in seiner schon seit Jahren bewährten Arbeit. Die verschiedenen, gut eingeführten Kurse vom Tanzen bis zum Schach, vom Theaterspielen bis zum Malkurs laufen weiter. Wichtig ist für Skibinski auch die Förderung der Kinder. Entsprechend nimmt nach wie vor die Hausaufgabenbetreuung einen wichtigen Stellenwert ein. Auch die sozialpsychologische Beratungsstelle für Kinder und Eltern wird positiv angenommen.
Große Außenwirkung hatten Veranstaltungen, die das Jugendzentrum gemeinsam mit dem Kulturzentrum unter der Leitung von Ellen Presser durchführte. Be- sonders hervorzuheben sind dabei die Ausstellungen »Traurigsein kommt sowieso« um das Tagebuch einer nach Amerika emigrierten Münchnerin im Jüdischen Museum und »Synagogen in Deutschland« im Gemeindesaal in der Reichenbachstraße. Gerade die Workshops, die dabei stattfanden, waren für die Kinder ein wichtiger Beitrag zum besseren Verstehen ihrer Geschichte. Nicht zuletzt die Poesiealben, die die Kinder und Jugendlichen in Anlehnung an das Erinnerungsalbum ihrer Altersgenossin in den 30er Jahren gebastelt haben, erschlossen den Kindern die Geschichte der NS-Zeit und rührten auch die erwachsenen Besucher.
Wie sehr die Erwachsenen die Arbeit des Jugendzentrums schätzen, unterstreicht die Ehrung, die dem Leiter des IKG-Jugendzentrums beim gemeinsamen Sommerfest auf dem Maccabi-Gelände zuteil wurde: Stanislav Skibinski erhielt den Herzl Award 2006. Robert Guttmann, der Präsident der Zionistischen Organisation Deutschland (ZOD), überreichte ihm diese hohe Auszeichnung. Auch Charlotte Knobloch, Präsidentin der IKG und des Zentralrats der Juden, gratulierte und fand lobende Worte: »Auf Herrn Skibinski kann man wirklich stolz sein. Er ist ein Jugendleiter, um den uns alle Jugendzentren in Deutschland beneiden. Er ist hervorragend und hat etwas zuwege gebracht, das wir alle kaum noch geglaubt haben. Er hat eine Symbiose geschaffen zwischen alten und neuen Gemeindemitgliedern. Und er hat die Liebe zu Israel bei den jungen Menschen wecken können. Dafür danken wir ihm.«
Skibinski und seine Mitarbeiter ruhen sich nicht auf diesen Lorbeeren aus. Das nächste Ziel haben sie schon angesteuert: Den Purimball, der bereits im neuen Gemeindezentrum am Jakobsplatz stattfinden soll. Hier wird auch »Neshama« aktiv mit von der Partie sein.