spanien

Volksverbunden

Wenn Raanan Gissin die Möglichkeiten einer koordinierten Aktion für Israel beschreibt, wird seine Stimme vor Aufregung höher. »Wir können den Cyberspace nutzen, um die traditionellen Medien zu umgehen«, begeistert sich der ehemalige israelische Regierungssprecher. Im obersten Stock des jüdischen Gemeindezentrums in Barcelona werden Menschen, deren Vorfahren vor 500 Jahren vom jüdischen Volk abgeschnitten wurden, zu Fürsprechern Israels im 21. Jahrhundert ausgebildet.
Eine höchst ungewöhnliche Gruppe hört konzentriert zu, macht sich Notizen und stellt Fragen. Es sind Nachfahren jener Juden, die im Mittelalter, zur Zeit der Inquisition, in Spanien und Portugal zum Christentum konvertierten. Sie sind nach Barce- lona gereist, um an einer dreitägigen Konferenz teilzunehmen und mehr über ihre jüdischen Wurzeln zu erfahren. Neben Vorträgen zu jüdischer Geschichte und Iden- tität, lernen diese Menschen – die Marranos oder Anusim (hebräisch für »die Gezwungenen«) genannt werden –, wie sie in ihrer Umgebung für Israel eintreten können.
In Spanien ist das antiisraelische Ressentiment besonders weit verbreitet. Die Massenmedien tendieren dazu, ausschließlich kritisch über Israel zu berichteten. Und Umfragen zeigen, dass die Spanier über Israel und Juden äußerst feindliche Ansichten hegen. »Im Hinblick auf das Ansehen Israels ist Spanien eines der schwierigsten Länder«, sagt Michael Freund, Vorsitzender von Shavei Israel, das die Kon- ferenz organisiert hat. Shavei Israel sucht überall auf der Welt den Kontakt zu »verlorenen Juden«, die mehr über ihre Herkunft erfahren möchten. »Viele von ihnen möchten ihre Stimme erheben und sich für Israel einsetzen«, so Freund. »Hier in Spanien haben wir ein enormes Potenzial, denn aufgrund ihres persönlichen Hintergrunds und ihrer historischen Beziehung zum jüdischen Volk fühlen sich die Anusim Israel besonders verbunden.«
Einige der 60 Konferenzteilnehmer haben sich bereits vorher für Israel engagiert. Sie erzählen von den Ängsten, die sie auszustehen hatten, als sie versuchten, etwas gegen die antiisraelische Stimmung in ihren Heimatstädten auszurichten. Ein Arzt mittleren Alters aus Barcelona, der nicht namentlich genannt werden möchte, berichtet, er sei von einem Muslim bedroht worden, nachdem er unter einem Pseudonym eine Reihe von Artikeln zu Israels Verteidigung geschrieben hatte. »Israel wird als krimineller Staat gesehen, und die Leute sind ständig auf der Suche nach Dingen, die sie Israel noch anhängen könnten«, sagt er.
Später, während einer Diskussion, fragen einige Teilnehmer nach den potenziellen Risiken, die jeder eingeht, der seine Stimme zugunsten Israels erhebt. Ob der Staat Israel, wenn es darauf ankäme, ihnen helfen würde? Sie erhalten keine klare Antwort.
Die Organisatoren der Konferenz meinen, solche Äußerungen zeigten die Empfindlichkeit jener, die auf irgendeine Weise zum Judentum zurückkehren wollten, sei es durch eine offizielle Konversion oder eine Verbindung zu den im Land lebenden Juden. »Die Menschen haben das Gefühl, in einer Grauzone zu leben; offiziell sind sie keine Juden«, sagt Rabbi Eliyahu Birnbaum von Shavei Israel. »Aber einige identifizieren sich als Juden in einer ausgesprochen nichtjüdischen Umgebung.«
Schätzungen über die Anzahl der Menschen auf der Iberischen Halbinsel, die jüdische Wurzeln haben, schwanken. Viele Spanier und Portugiesen haben Familiennamen, die auf eine jüdische Vergangenheit verweisen. Auf der Konferenz berichteten Teilnehmer von Familien, in denen rätselhafte Bräuche praktiziert würden, etwa das Anzünden von Kerzen, zu dem die Großmutter unverständliche Beschwörungen murmelt. Laut einer neueren genetischen Studie sind etwa 20 Prozent der Spanier und Portugiesen jüdischer Abstammung.
Der 47-jährige Rafael Peretz kommt aus dem rund 250 Kilometer westlich von Barcelona gelegenen Saragossa. Nur drei jüdische Familien leben dort. Vor einigen Monaten hat er eine Website über die Anusim ins Leben gerufen: www.kolisraelorg.net. Darin widmet sich ein Teil der Verteidigung Israels, und es gibt Links zu proisraelischen Bloggern. Zudem versendet Peretz Messages an Social-Networking-Websites und stellt Videos auf YouTube, um – wie er sagt – ausgewogenere Informationen über Israel in Umlauf zu bringen.
»In Spanien existiert so gut wie kein Wissen über das Leben in Israel«, sagt Peretz, der vor einigen Jahren begann, seine jüdischen Wurzeln zu erforschen. Als Kind nahm ihn sein Vater mit in die Synagoge und überraschte ihn mit dem Bekenntnis: »Wir stammen aus diesem Volk.«
Man müsse kreativ sein, um als Fürsprecher Israels Erfolg zu haben, appelliert Gissin an die Konferenzteilnehmer: »Sie müssen lernen zu kämpfen, zu reden. Verwen- den Sie kurze Sätze und erzählen Sie Geschichten«, sagt er und schaut seine Zuhörer an: »Ihr seid ein lebendiges Zeugnis dafür, worüber wir reden. Jede eurer Geschichten ist ein lebendiger Beweis für die Ewigkeit des jüdischen Volkes.« Dina Kraft

Kultur

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