von Ralf Balke
Lutz Riedrich ist sauer. Wieder einmal hat man dem 34-jährigen Deutschen, der mit einer Israelin verheiratet ist und in Tel Aviv lebt, sein Fahrrad geklaut. »Eigentlich sind die Israelis gnadenlos autovernarrt, doch die Tatsache, dass so viele Fahrräder gestohlen werden, verweist wohl auf einen neuen Trend«, lästert er. »Immer mehr Is-
raelis scheinen ihre Liebe zum Drahtesel zu entdecken und das, obwohl Radfahren in Tel Aviv oder Jerusalem alles andere als ein Vergnügen sein kann.«
Die Zahlen geben Lutz Riedrich recht: Über 200.000 Fahrräder werden mittlerweile pro Jahr in Israel verkauft, darunter viele Mountain- und Trekking-Bikes in der gehobenen Preisklasse. Knapp 50 Millionen Euro geben die Israelis jährlich dafür aus.
Dabei zahlen Israels Radfahrer noch ei-
nen ganz anderen Preis für ihren Wunsch nach mehr Mobilität: »Obwohl sie nur ein Prozent des gesamten Verkehrsaufkommens repräsentieren, stellen sie fünf Prozent der Unfalltoten und zehn Prozent der Schwerverletzten«, erklärt Jon Lippmann aus Haifa, seines Zeichens Gründer des ersten Mountain-Bike-Clubs in Israel.
Denn die Infrastruktur ist alles andere als ausreichend und Fahrradfahrer werden von den als restlos autistisch verschrienen israelischen Autofahrern meist völlig ignoriert. »Für die sind wir doch nur wie Fliegen, die an der Windschutzscheibe zerquetscht werden«, lautet Lippmanns hartes Urteil. Über 20 tödlich verunglückte Radfahrer gab es allein im vergangenen Jahr.
Dabei könnte Israel schon wegen seiner Größe ein Paradies für Radler sein. Das jedenfalls sagen Gruppen wie Israel Bischwil Ofanaim (www.bike.org.il) oder die Israel Cycling Federation (www.ofanaim.org.il). Außerdem ist der urbane Ballungsraum Tel Aviv flach, also ideal, um auf zwei Rädern von A nach B zu kommen. 1998 konnten die Fahrrad-Lobbyisten dem damaligen Tel Aviver Bürgermeisterkandidaten Ron Huldai das Versprechen abringen, den Bau von Radwegen zu initiieren. Zurzeit gibt es davon 74 Kilometer und bis zu den Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag Tel Avivs im April kommenden Jahres sollen noch weitere 26 Kilometer dazukommen. Doch meistens wird einfach mit einem Pinsel eine weiße Linie auf dem Bürgersteig von Straßen wie dem Ben-Gurion-Boulevard oder der Ibn-Gvirol-Straße gezogen und das Ganze dann zum Radweg erklärt. Radfahrer kommen sich deshalb oft mit Fußgängern ins Gehege und müssen um Trafokästen, Bushaltestellen und Strommasten ein wahres Hindernisrennen absolvieren. Die Radwege seien ein »trauriger Witz«, heißt es sogar von Vertretern der Stadtverwaltung.
Noch schlimmer ist es in Jerusalem. Is-
raels Hauptstadt hält für den Radfahrer nicht nur ein paar ordentliche Steigungen und enge Straßen mit vielen Schlaglöchern als Herausforderungen parat, sondern hat bis dato keine zehn Kilometer Radweg. Dieser beginnt irgendwo im Sacher Park und hört dann beim Israel Museum abrupt auf. Immerhin: Der 2004 beschlossene Masterplan der Stadt sieht den Bau einer weiteren Strecke in Emek Refaim vor.
Und es wird ordentlich Druck gemacht: »Ich helfe, Israel Devisen zu sparen. Außerdem möchte ich Länder wie den Iran, Saudi Arabien oder Venezuela nicht noch reicher machen.« Mit diesen Worten erklärt Steve Kelter, ein fast 60-jähriger Fahrradfreak, warum er seinen Citroen BX gegen ein 1.000 Euro teures Fahrrad mit einem Magnesiumrahmen austauschte. Und wie einige hundert andere fahrradbegeisterte Jerusalemer auch, ist er Mitglied von »Ye-
rushalaim Bischwil Ofanaim«, einer 1995 gegründeten Initiative, die unter dem Na-
men »Kritische Masse« jeden letzten Freitag im Monat Fahrraddemos in der Stadt organisiert und dabei den Stadtverkehr teilweise zum Erliegen bringt. Unter anderem fordern sie einen Radweg parallel zu der geplanten Stadtbahn von Jerusalem. »Die Verhandlungen sind reichlich frus-trierend«, so Gad Natan, Gründer von »Yerushalaim Bischwil Ofanaim«. »Auch bei der Konzeption für die dann größtenteils für den Autoverkehr gesperrte Jaffastraße sind keine Radwege vorgesehen.«
Dabei wird auf nationaler Ebene einiges für Fahrradfahrer getan. Der Israel Bike Trail, ein 1.200 Kilometer langer Radwanderweg, ist jetzt beschlossene Sache. Vom Berg Hermon im äußersten Norden des Landes bis hinunter nach Eilat soll man in drei Jahren unbelästigt von Autos mit dem Rad unterwegs sein können. Dahinter
steckt eine Initiative der israelischen Na-
turschutzbehörde und des Jüdischen Na-
tionalfonds, die gemeinsam mit Interessen-verbänden der Radfahrer und mehreren Ministerien das Konzept erarbeitet haben.
Überhaupt soll das Radeln attraktiver werden. Die Knesset diskutiert im Moment ein Gesetz, mit dem die Infrastruktur nicht nur in Tel Aviv und Jerusalem, sondern auch in anderen Städten verbessert werden soll. Zudem soll die Mitnahme von Zweirädern in Bussen und Bahnen ermöglicht werden. Und denen, die das Rad für die Fahrt zum Arbeitsplatz nutzen, sollen steuerliche Vorteile eingeräumt werden. »Fahrrad fahren ist eine gute Antwort auf steigende Benzinpreise, auf Luftverschmutzung, Staus und Gesundheitsprobleme«, meint der Abgeordnete Dov Khenin von der Hadash-Fraktion.
Für alle, die ihren Drahtesel zum Pendeln in Tel Aviv oder Jerusalem benutzen, ist das noch Zukunftsmusik. Sie haben mangels vernünftiger Radwege weiterhin auf ihrem täglichen Hindernisrennen die Wahl zwischen fluchenden Fußgängern und plötzlich aufgehenden Autotüren.