von Sabine Brandes
Es ist der internationale Treffpunkt der Vögel. Wenn im Herbst und Frühjahr die Kraniche, Störche, Adler, Bussarde, Enten und Pelikane über das Land ziehen, färbt sich der Himmel schwarz. Israel ist Mittelpunkt im kontinentalen Dreieck zwischen Europa, Asien sowie Afrika und damit Paradies für Zugvögel aller Herren Länder. Ein imposantes Spektakel für Vogelfans, ein Geschenk für Forscher. Doch in diesen Zeiten auch ein Fluch. Denn statt ans schillernde Federkleid und possierliche Zirpen denken derzeit viele an H5N1. Das tod- bringende Virus der Vogelgrippe, das nach Asien jetzt auch in Europa Angst und Schrecken verbreitet.
Israel schien bislang verschont. Keine Schlagzeilen, keine Panik. 500 Millionen Zugvögel und nicht ein einziges Virus. »Sie wollen es einfach nicht wissen«, sagt Yossi Leshem. Seiner Meinung nach ist die Vogelgrippe längst in Israel angekommen. »Entweder war sie hier, oder sie ist hier.« Der internationale Leiter des ornithologischen Zentrums und Professor der Tel Aviv Universität hat keine Zweifel: »Es kann gar nicht anders sein. Eine halbe Milliarde Vögel fliegen zweimal im Jahr über unser Land, die Krankheit ist in Asien, Europa und Afrika, sie breitet sich vor unserer Haustür aus. Bei uns aber ist sie nicht? So heilig kann ein Land gar nicht sein.«
Im Gegenteil: »Israel ist wie geschaffen für die Ausbreitung«, macht der Ornithologe klar. Das Land sei wie ein Flaschenhals für asiatische und europäische Zugvögel. Und genau dieser Flaschenhals er-
mögliche es ihnen, sich in riesiger Zahl auf kleinstem Platz zu treffen. Wie etwa die Kraniche, die zu Zehntausenden auf einmal im Hula-Tal im Norden Rast machen. »Unsere Chance, die Vogelgrippe zu bekommen, ist somit viel größer, als die der Länder, die sie bereits haben.« Wildvögel, besonders Enten, gelten als Träger des Virus, das sie auf Haus- und Zuchtvögel übertragen können.
Vor zwei Wochen wurden im südlichen Gasastreifen einige tote Wildvögel und Hunderte verendete Hühner gefunden, die zur Untersuchung an die israelische Veterinärbehörde übergeben wurden. Der Grippeverdacht bestätigte sich nicht. Die israelischen Offiziellen betonen jedoch, daß sie die Situation in den palästinensischen Gebieten mit Argusaugen beobachten. Dies jedoch könnte sich schon sehr bald als unmöglich herausstellen – wenn die Minister der Hamas ihre Posten einnehmen. Kommunikation und Zusammenarbeit werden dann – so kündigte Israel an – gegen null tendieren. »Doch es ist auch im Interesse unseres Landes, die landwirtschaftlichen Standards in Gasa hochzuhalten«, weiß Uri Madar, Chef der Landwirtschaftsabteilung des Bezirks Erez, der an den Gasastreifen grenzt.
Leshem, der seit 30 Jahren Forschung in Sachen Zugvögel betreibt, macht die Regierung verantwortlich, daß es kein Überwachungssystem gibt, welches das Virus bei lebenden Vögeln registriert. »Die Regierung wendet die Taktik des Vogel Strauß an«, meint der Fachmann. »Den Kopf in den Sand stecken und nichts von allem mitbekommen.« Das jedoch sei nicht nur dumm, sondern auch äußerst gefährlich. Vor Monaten bereits boten Leshem und Dan Allon, der Leiter des ornithologischen Zentrums auf Landesebene, dem Gesundheitsministerium an, das sogenannte Monitoring einzuführen. »Die Regierung versprach uns im letzten Herbst eine Million Schekel, doch bislang ist nicht eine einzige Agora eingegangen«, sagt Leshem. »Ich bin überzeugt, daß es gar nicht gewünscht ist. Denn würde bekannt, daß die Vogelgrippe hier ist, gibt es eine Panik und die Menschen hören auf, Huhn und Truthahn zu essen. Das hätte verheerende Auswirkungen auf die Wirtschaft. Es geht um Milliarden Dollar.« Derzeit kann die Vogelgrippe in Israel lediglich dann festgestellt werden, wenn ein totes Tier gefunden wird, das den Erreger in sich trägt. »Das ist aber noch nicht geschehen«, weiß Allon.
Unterdessen hat Madeleine Mumcuoglu, eine Virologin aus Jerusalem, einen vielversprechenden Wirkstoff entwickelt: Sambucol, ein homöopathisches Präparat aus Holunderbeeren, reduzierte die kranken Zelle einer britischen Studie zufolge um 99 Prozent. Während es noch zu früh sei für eine Prognose, wie Sambucol bei erkrankten Menschen wirkt, so könne es doch eine große Hoffnung im Kampf gegen die Vogelgrippe sein, heißt es.
Monika Hadari lebt im Kibbuz Gvat. Jedes Jahr ziehen auch über ihre Ansiedlung Zigtausende Kraniche, eine Beobachtungsstation steht mitten im Kibbuz. Hühnerställe gehören ebenfalls zur Koopera-
tive. Natürlich habe sie über die Krankheit gelesen, sagt Hadari. Angst, daß sie das Virus erreichen könne, hat sie nicht. »Seit ich denken kann, gibt es Bedrohungen für unser kleines Land. Kriege, Terror, ständig ist irgend etwas anderes. Über die Vogelgrippe mache ich mir nun wirklich keine Sorgen – darum kann sich der Rest der Welt kümmern.«