von Hans-Ulrich Dillmann
Selbst Yehudá ben Selmonó Al-Harizi, der aus Katalonien zu Pferde angereist war, kam Ende des zwölften Jahrhunderts aus dem Staunen nicht heraus. Vor ihm im spanischen Hochland lag Toledo, die damalige Hauptstadt des Königreichs. »Wie viele Synagogen es in dieser unvergleichlichen Schönheit gibt«, staunte er. »Hier lobt der Geist den Herrn.«
Heute sind es vor allem Touristen, die die Schönheit loben. Für sie ist jetzt ein Reiseführer zu den 21 Judenvierteln Spaniens erschienen: Rutas por la Juderías de España. Nicht nur in Toledo eilten zum Schabbateingang die jüdischen Männer in die Synagoge. Dutzende Städte auf der Iberischen Halbinsel beherbergten große hebräische Gemeinschaften. Die Juderías, die jüdischen Ghettos, boten den Menschen Lebensraum, vereinten kleine, schmucklose Bethäuser und herrschaftliche Gotteshäuser und Religionsschulen.
Im Jahre 1492 hatte der jüdische Teil der hispanischen Geschichte ein gewaltsames Ende. Die Katholischen Könige Fernando und Isabel zwangen die Juden zur Taufe. Wer sich weigerte oder seinen Glauben weiterhin heimlich praktizierte, endete auf den Scheiterhaufen der Inquisition oder wurde zur Flucht gezwungen. Maranos, die Verfluchten, oder Conversos wurden die zwangsgetauften Juden genannt.
Ihre Wohnviertel wurden vielfach von anderen übernommen, Bethäuser und Synagogen allerdings nicht einfach zerstört, sondern zu Kirchen umgewidmet oder zugemauert – und vergessen. Jahrhundertelang kümmerte sich niemand um die historischen Stätten. Wo sich nicht städtebauliche Modernisierungsarbeiten in den histo- rischen Baubestand fraßen, finden sich heute wie in kaum einem anderen Land noch die Reste der jüdischen Ghettos. 21 Städte verfügen sogar noch über eine fast vollständig vorhandene Judería.
Berühmt ist die Provinzstadt Girona. Besalú wurde der jüdische Bezirk der Stadt ehemals genannt. Nach dem Tod des Freimaurer- und Judenhassers Francisco Franco 1975 und der Demokratisierung des Landes begannen Historiker, den Spuren jüdischen Lebens nachzugehen.
Heute reisen sefardische Juden aus aller Welt nach Spanien, um auf den Spuren ihrer Vorfahren zu wandeln. Die Fremdenverkehrsbüros werben mit Städtereisen und den Judenghettos, die zum Teil aufwendig renoviert wurden.
Die Juderías haben sich inzwischen zu einem Netzwerk zusammengeschlossen, um wissenschaftliche Forschung zu betreiben, voneinander zu profitieren – und um sich historisch Interessierten als besondere touristische Attraktion darzustellen.
Hunderttausende wandeln jedes Jahr über die Calle Judería Vieja in Segovia. Sie besuchen in Ávila das »Haus des Rabbiners«, bestaunen das Kabbalistenzentrum Girona und zwängen sich durch die Calle Judíos in Córdoba.
Der Reiseführer über die Judenviertel, den das Netzwerk kürzlich herausgebracht hat, Rutas por la Juderías de España, ist in Spanisch verfasst. Eine englische Übersetzung ist geplant. Doch auch wer des Spanischen nicht mächtig ist, wird in diesem Buch vielfältige Anregungen und Tipps finden: Es gibt Informationen zu historischen Gebäuden, Straßenzügen und Plätzen, Museen und Bildungsinstitutionen sowie Hotel- und Restaurantempfehlungen.
www.redjuderias.org
Rutas por las Juderías de España, Santillana Ediciones Generales, Madrid 2008, 248 Seiten, ISBN 9788403507425, 23,90 Euro