Den Heldenplatz des Warschauer Ghettoaufstandes kennt kaum jemand in Warschau. Selbst Taxifahrer fragen oft: »Helden? Ghetto? So etwas sollen wir hier in Warschau haben?« Jerzy Halberstadt, der Direktor des künftigen Museums zur Geschichte der polnischen Juden, plante daher ein Spektakel, das die Warschauer so schnell nicht vergessen würden. Zur Feier des Baubeginns seines Museums am Dienstag ließ er 100 Kantoren aus den USA einfliegen, einen Chor, der Synagogalmusik und traditionelle jüdische Lieder im Stil des Broadways auf die Bühne bringt. Die Botschaft sollte sein: Hier entsteht ein Museum jüdischen Lebens! Kein Holocaust-Museum. Nicht bedacht hatte er allerdings, dass aus dem kleinen Kibbuz, den die israelische Künstlerin Yael Bartana eine Woche zuvor auf dem Platz errichtet hatte, ein Wachturm herausragte, der dann doch an Auschwitz erinnerte.
projekt Die Idee zu einem Museum jüdischen Lebens in Polen hatte Grazyna Pawlak bereits 1993. Die damalige Direktorin der Vereinigung Jüdisches Historisches Institut in Warschau baute innerhalb kürzester Zeit einen Unterstützerkreis auf, der von den USA über Israel und Frankreich bis nach Deutschland reichte. Er sollte das finanzielle Fundament für das 66 Millionen Dollar teure Projekt schaffen. Die Stadt Warschau stellte unentgeltlich ein Grundstück zur Verfügung, die ersten Pläne und Konzeptionen entstanden, namhafte Architekten schickten ihre Entwürfe.
Geplant war, zum ersten Mal die Geschichte der polnischen Juden vom Mittelalter bis heute zu zeigen und dabei auch schwierige Themen im Verhältnis zwischen Christen und Juden nicht auszusparen. Der Holocaust sollte durch eine nachgestellte 50 Meter lange Straße im Warschauer Ghetto dargestellt werden.
In den Vordergrund aber wollte man das Leben stellen, den Alltag polnischer Juden in Stadt und Land, ihre Kultur und Religion, aber auch die Lebensläufe polnischer Juden, die es als Wissenschaftler, Künstler, Politiker oder Kaufleute zu Ruhm und Ehre gebracht hatten. »Wenn wir den Holocaust verstehen wollen«, sagte damals Grazyna Pawlak, »müssen wir verstehen, wer hier eigentlich ermordet wurde.« Die Zahl von drei Millionen ermordeter Juden sei zu abstrakt. »Hier in Warschau pulsierte das jüdische Leben. Jeder dritte Warschauer war Jude. Es gab jüdische Theater, Zeitungen, Buchverlage, Sportvereine, Salons und politische Parteien. Das ist weitgehend vergessen.«
verzögert Doch zur geplanten Grundsteinlegung kam es weder im Jahr 2000 noch 2002 oder 2005. An die Stelle der Gründungsdirektorin Grazyna Pawlaks trat Jerzy Halberstadt, der von 1991 bis 2003 im Holocaust-Museum in Washington das polnische Programm betreut und das Projekt zur Mikroverfilmung von Millionen Holocaust-Dokumenten geleitet hatte. In Warschau wurde 2002 der national-konservative Politiker Lech Kaczynski zum Oberbürgermeister gewählt. Er setzte andere Prioritäten als sein Vorgänger und forcierte den Museumsbau zur Geschichte des Warschauer Aufstandes von 1944. Schon 2004, zum 60. Jahrestag des Aufstandes, konnte Kaczynski dieses Museum im ehemaligen Elektrizitätswerk der Warschauer Straßenbahn eröffnen. Der Festakt, mit dem der Politiker auch dem eigenen Vater unter den Kriegsveteranen ein Denkmal setzen wollte, dauerte drei Tage lang.
Erst ein Jahr später, 2005, wurde das Museum zur Geschichte der polnischen Juden offiziell gegründet, weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit. Mit großem Pomp hingegen gab schon ein Jahr darauf die national-konservative Regierung unter Kazimierz Marcinkiewicz die Pläne zur Gründung eines Museums zur Geschichte Polens bekannt. Das Museum sollte den längst überholten Helden- und Opfermythos der polnischen Nation zu neuem Leben erwecken. Nun begann sich auch im Jüdischen Museum wieder einiges zu rühren. Auf dem Heldenplatz des Warschauer
Ghettoaufstandes, direkt gegenüber dem im realsozialistischen Stil gehaltenen Ghettodenkmal, wurde ein azurblauer »Ohel« (hebr. für Zelt) aufgestellt, in dem das Museum erste kleine Ausstellungen zeigt, Filme vorführt oder zu Diskussionen einlädt.
grundsteinlegung Im April 2007 begann das Museum, Schulungen und Workshops zu jüdischen Themen zu organisieren. Drei Monate später, im Juni 2007, kam es dann endlich zur feierlichen Grundsteinlegung. Erste Publikationen erschienen, das Museum nahm den polnisch-israelischen Jugend- und Studentenaustausch unter seine Fittiche und schaltete eine umfangreiche Website frei: www.sztetl.org.pl.
Die Reaktionen auf die bisherigen Aktivitäten des Museums fallen bislang eher verhalten aus. So wundern sich Fachleute über das Projekt »Virtuelle Schtetl«, in dem als erste Publikation ein Handbuch zum jüdischen Leben in Niederschlesien, dem Lebuser und Oppelner Land erschien. »Dort hat es nie Schtetl gegeben«, sagt Eleonora Bergman, die Direktorin des Jüdischen Historischen Instituts. »Schtetl oder kleine jüdische Städtchen waren für das orthodoxe Landjudentum im Osten typisch.« Weder das jüdische Breslau, Glatz oder Oppeln seien Schtetl gewesen. »Das ist einfach falsch. Niederschlesien war die Geburtsstätte des Reformjudentums, die Hochburg des orthodoxen Judentums hingegen lag in Galizien.«
erwartungen Monika Krawczyk, die Direktorin der Stiftung zum Schutz des jüdischen Erbes in Polen, ist sogar leicht verärgert. »Die Website www.sztetl.org.pl sieht unserer Website www.polin.org.pl zum Verwechseln ähnlich. Es ist die gleiche Idee, die gleiche Struktur. Von einer Institution, die mit Millionensummen gesponsert wird, hätte ich mir anderes erwartet.«
Im Museum sieht man das nicht so eng. Das Portal »Virtuelle Schtetl« greife nur ein bekanntes jiddisches Wort auf, ohne den Begriff aber zum Programm erklären zu wollen. Das Virtuelle Schtetl sei ein Museum ohne Wände. Es wolle die Geschichte wie Gegenwart des jüdischen Lebens in Polen zeigen, auch wenn es seit dem Zweiten Weltkrieg in keinem einzigen Ort Polens mehr ein Schtetl gibt.
sicherheit Zum Baubeginn des neuen Museums musste die Polizei allerdings das Gelände schon Tage vorher inspizieren und absichern. Den ersten Spatenstich und den Auftritt des berühmten Kantorenchors wollte sich niemand verderben lassen. Die Angst vor antisemitischen Attacken, Demonstrationen und Störmanö- vern hat in den vergangenen Wochen unter Polens Juden stark zugenommen.
Immer häufiger werden jüdische Friedhöfe geschändet, Synagogen mit Hakenkreuzen und »Juden raus!«-Parolen beschmiert. In den meisten Kiosken kann man völlig problemlos antisemitische Hetzblätter kaufen. Auch die katholische Kirche hat sich bislang nicht dazu aufraffen können, katholisch-antisemitische Medien vom Markt zu nehmen. Die meisten Staatsanwälte und Richter wiederum halten antisemitische Straftaten für »gesellschaftlich wenig schädlich«. Bislang waren die meisten Synagogen Polens ohne aufwendige Sicherungssysteme ausgekommen. Doch nachdem der Danziger jüdische Friedhof und die Breslauer Synagoge zum Weißen Storch mehrmals mit Parolen wie »Juden – ab in den Ofen, Dort ist euer Platz« und »Juden raus!« beschmiert wurden, sollen nun Überwachungskameras installiert und ein Sicherheitsdienst engagiert werden.
Ob das im Museum später auch dokumentiert wird, steht noch in den Sternen. Auf der Website jedenfalls sind unter »Aktuelles« nur die diversen Jewish Festivals zu finden, die überall in Polen wie Pilze aus dem Boden sprießen. »Mit uns Juden haben diese Festivals nicht allzu viel zu tun«, meint Bella Szwarcman von der jüdischen Kulturzeitschrift Midrasz. »Man könnte fast sagen: je weniger Juden, desto mehr Festivals.«