von Marina Maisel
Anfangs flüstern die Kinder ungeduldig vor der Bühne und richten sich auf ihren Plätzen ein, damit sie bereit sind für ein besonderes Erlebnis. In den Händen halten sie das Programm des Konzerts. »Ich bin da, weil ich gerne Musik höre«, sagt die achtjährige Marlene konzentriert. »Ich spiele nämlich selbst seit drei Jahren Geige und Klavier«. Noemi hat heute Geburtstag und ist mit ihren fünfzehn Gästen zum Konzert ins Gemeindezentrum gekommen: »Erst haben wir gefeiert, dann Porzellan bemalt und jetzt sind wir hier im Konzert.«
»Wo sind denn die Musiker?« – fragt eine Stimme auf der Bühne. Dann macht ein zierliches Mädchen eine Seitentür auf, und die Musiker betreten unter lautem Applaus die Bühne des Hubert-Burda-Saales. »Psst!«, ermahnen sich die kleinen Zuhörer gegenseitig zur Ruhe. Daniel Grossmann, der Dirigent des Orchesters Jakobsplatz, stellt sich ans Mikrofon, wendet sich zum Publikum und erklärt zuerst die geheimnisvollen Bewegungen, die er mit dem Taktstock macht, den er in den Händen hält. Die aufmerksamen Kinder, die vor der Bühne sitzen, machen die Bewegungen nach, beantworten die Fragen des Dirigenten und stellen ihm selbst welche. Wenn es um die Namen von Komponisten geht, dann tönt es spontan vielstimmig aus dem Saal: »Mozart, Bach, Beethoven« und sogar »Schostakowitsch« – worüber der Dirigent staunt. So beginnt ein ungewöhnliches Konzert. Das Orchester Jakobsplatz spielt Klassik für Kinder. Aber nicht nur das: die Kinder können heute selbst mitmachen. Dirigent Daniel Grossmann fungiert an diesem Nachmittag auch als Erzähler, der zusammen mit dem Orchester die Kinder in die Welt der Musik führt. Bevor das erste Stück aus dem Programm gespielt wird, erklärt Grossmann, was eigentlich ein Solokonzert ist: »Sofia, die aus Montenegro kommt, spielt allein, also solo auf ihrer Klarinette und wird vom ganzen Orchester begleitet.« Bevor aber das Klarinettenkonzert von Wolfgang Amadeus Mozart erklingen könne, so Grossmann weiter, müssten erst einmal die Instrumente des Orchesters gestimmt werden. Warum das so ist und wie diese gestimmt werden, wird daraufhin anschaulich erklärt und vorgeführt. So vorbereitet kann der 1. Satz aus dem Klarinettenkonzert gespielt werden. Danach werden die Musiker und vor allem ihre Instrumente im Einzelnen vorgestellt. »Sophie aus Frankreich spielt Flöte«, sagt mit einer einladenden Bewegung David Grossmann und die junge Dame erhebt sich sogleich, um ein paar Flötentöne zu spielen. Nach und nach wird so das ganze Orchester dem jungen Publikum vorgestellt: Fagott, Horn, Geige, Bratsche, Cello, Kontrabass, Trommel und Trompete, alle mit kleinen Tonbeispielen. Die Zuhörer erleben unterschiedliche Klänge, hören die Namen der Länder, aus denen die Musiker kommen: Amerika, Japan, Ungarn, Russland, und Israel – ein wahrhaft multinationales Orchester. »Wisst ihr, was ein Dirigent eigentlich im Orchester macht?«, stellt Grossmann seine nächste Frage. Seine Zuhörer sind um Antworten nicht verlegen: »Er zeigt, was man spielen soll«, »Er sagt, wie schnell man spielt«, »Er gibt den Takt an«. Was das bedeutet, konnten einige jüngere Gäste im Publikum auch gleich zeigen und malen mit ihren Armen eifrig den Dreiviertel- und Vierviertel- und sogar den Sechsachteltakt in die Luft. Spaß für alle! Was der Dirigent sonst noch mit seinem Taktstock zaubern kann, erläutert Grossmann so anschaulich, dass die Kinder während des nachfolgenden dritten Satzes des Klarinettenkonzerts auf die Bühne kommen und fasziniert und aufmerksam jede auch noch so kleine Bewegung des Kapellmeisters studieren.
Ein derart aktives Zuhören ist eher ungewöhnlich für ein klassisches Konzert, heute aber ausdrücklich gewünscht von den Organisatoren. Die Idee zu diesem Mitmachkonzert hatte Sharon Bruck. Als Mutter von drei Kindern, die gerne Musik machen, wollte sie die Begegnung mit Musik auch anderen Kinder ermöglichen. »Alle, die ich daraufhin ansprach, fanden die Idee gut und wollten mitmachen«, erzählt Sharon Bruck. Das Projekt unterstützt und an seiner Realisation mitgewirkt haben IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch, Ellen Presser aus der Kulturabteilung der IKG, Jugendliche der Zionistischen Jugen Deutschlands (ZJD), vom Jugendzentrum »Neshama« sowie zahlreiche Sponsoren und Spender.
Auch bei Daniel Grossmann rannte Sharon Bruck offene Türen ein. Der Musiker und künstlerische Leiter des Orchesters Jakobsplatz hatte gleich ein paar Ideen für Stücke, bei denen Kinder mitmachen können. »So kam ich auf John Cage und auf Leopold Mozart«, erzählt Grossmann. Verblüfft und irritiert waren die Kinder zunächst schon, als ihnen die ganz moderne Musik von John Cage vorgeführt wurde. Da gab es doch überhaupt nichts zu hören! »Ihr könnt sagen«, erklärt nach dieser seltsamen Vorführung der Dirigent, »das war gar keine Musik. Und ihr habt recht. Denn wir haben tatsächlich keine Töne gespielt.« Und dennoch: »Musik ist Zufall, sagt der amerikanische Komponist Cage.« Grossmann versucht den Kindern zu vermitteln, was es mit dieser ungewöhnlichen Aussage auf sich hat und erklärt: »Musik ist es auch, wenn ihr Geräusche macht oder wenn es regnet oder stürmt.« Schließlich begreifen die Kinder, dass das Stück mit dem Titel »4 Minuten 33 Sekunden« ein echtes Mitmachstück ist, bei dem sie selber gefragt sind. Als dann der Dirigent die Hand hebt und das Stück ein zweites Mal spielen lässt, klingt es schon ganz anders mit all den Geräuschen, die von den Kindern kommen und von ihnen nun auch gehört werden. Zum Schluss steht die Kindersymphonie von Leopold Mozart auf dem Programm. Es werden neue Instrumente vorgestellt, die in diesem Stück mitspielen, wie ein Kuckuck. Dann aber wird es schwierig. »Wir brauchen Wind«, sagt der Dirigent. Nachdem die Kinder eine Weile ratlos überlegen, was das für ein Instrument sein könnte, hilft Grossmann: »Ich habe eine Idee. Ihr seid so viel Kinder und ihr könnt doch pusten«. Und dann weist Grossmann seine vielköpfige Windmaschine ein, auf welche Zeichen seiner Hände sie anfangen sollen zu pusten und wann wieder aufhören. Bei dieser tollen Aufgabe hält die Kindern nichts mehr auf ihren Plätzen, sie stürmen die Bühnentreppe. »Wo kann man so etwas schon erleben, dass die Kinder während des Konzerts auf die Bühne kommen. Ich habe erreicht was ich wollte: dass Kinder mitmachen«, sagt Grossmann nach dem Konzert. »Das ist einmalig«, begeisterte sich auch Präsidentin Charlotte Knobloch, die das Konzert von Anfang bis Ende miterlebt hatte. Dass sie mit dieser Einschätzung nicht alleine war, bestätigte am Ende brausender Applaus für die Musiker. Dem Dirigenten überreichten die Kinder einen überdimensionalen Notenschlüssel.