Wilna

Vier Fäuste für ein Haus

von Michael J. Jordan

In der ehemaligen Heimat des Gaon von Wilna, dem historischen Zentrum der anti-chassidischen Litvakbewegung, kämpfen zwei Rabbiner seit drei Monaten um die Vorherrschaft über die einzige Synagoge der Stadt. Der eine, Chabad-Rabbiner Sholom Ber Krinsky, der 1994 nach Litauen kam, kämpft dabei auch darum, sich und seiner neun-köpfigen Familie das Dach über dem Kopf zu erhalten. Krinsky könnte bald der Erste unter den mehr als 200 Chabad-Emissären in der ehemaligen Sowjetunion sein, der wegen Mietrückständen aus seinem Chabad-Haus geworfen wird. Früher war das Grundstück in Krins- kys Besitz, doch er musste es verkaufen, um seine Schulden zu bezahlen. »Der Eigentümer war ziemlich geduldig«, sagt ein Vertreter der US-Regierung, der mit der Situation vertraut ist. »Jetzt ist es zu spät.«
Krinsky soll sein Haus bis Ende Juni räumen. Zur gleichen Zeit wird die litauische Regierung dem Parlament voraussichtlich ein revidiertes Rückerstattungsgesetz vorlegen. Das neue Gesetz soll die Definition des religiösen Gemeindeeigentums erweitern, um den Ansprüchen der Erben besser gerecht zu werden.
Die Gemeindeführung war jedoch mit einem chassidischen Rabbiner nicht zufrieden und suchte weiter nach einem Litvak. Sie fanden Chaim Burshtein, der aus St. Petersburg stammt und früher als Refusenik nach eigenen Angaben etwa 40-mal vom KGB festgenommen wurde, bevor er nach Israel auswandern konnte.
Burshtein wurde von den Vertretern der religiösen Gemeinden des Landes zum Oberrabbiner gewählt. Seine Amtseinführung in der Synagoge löste Tumulte und Gewalttätigkeiten aus. Es begann mit Handgreiflichkeiten zwischen der Krinsky- und der Burshtein-Fraktion während des Schawuot-Gottesdienstes im Jahr 2004. In- und ausländische Medien berichteten ausführlich über den Krawall. Später soll Burshtein von Krinsky-Anhängern verprügelt worden sein. Krinsky wurde untersagt, die Synagoge zu betreten, woraufhin seine Anhänger monatelang im Hof Mahnwachen hielten.
Jetzt steht jedoch viel mehr auf dem Spiel als nur die Kontrolle über das Bethaus – es geht darum, wer von der lang erwarteten Rückerstattung des Eigentums der jüdischen Gemeinde profitieren wird. Dazu gehören in Litauen mindestens 200 Gebäude und eine geschätzte Summe von 60 Millionen Dollar – als Entschädigung für solchen Besitz, der nicht rückerstattet werden kann.
Krinsky behauptet, dass niemand mit Chabad Probleme hatte, bis die Entschädigungsfrage anstand. »Man soll uns geben, was wir objektiv verdienen: eine faire Repräsentation beim Rückgabevergleich und einen fairen Anteil an den vergebenen Geldern.« Er habe bis zur Erschöpfung am Wiederaufbau des jüdischen Lebens in Litauen gearbeitet. Er eröffnete eine jüdische Schule, betreibt eine Suppen- küche, gibt Kurse und organisiert Aktivitäten im ganzen Land. Jüdische Aktivisten erkennen seine Bemühungen an, stellen jedoch alles in Abrede, was Krinsky als Erfolg für sich verbuchen möchte – von der Anzahl der Besucher der von ihm organisierten Veranstaltungen bis zur Qualität der Suppenküche und der Schule.
Krinsky schreibt die Schuld an seinen Schwierigkeiten den chabadfeindlichen Vorurteilen lokaler und internationaler jüdischer Gruppierungen zu. Sie versuchten, so der Rabbiner, ihn von den Entschädigungsverhandlungen auszuschließen. Insbesondere kritisiert er das American Jewish Joint Distribution Committee (JDC), das in beinahe allen Gebieten der ehemaligen Sowjetunion, in denen auch Chabad aktiv ist, mit Sozial- und Wohlfahrtsorganisationen präsent ist. Andres Spokoiny, JDC-Landesdirektor für Litauen mit Sitz in Paris, bezeichnet die Behauptung Krinskys als »Unsinn« und betont die »ausgezeichnete Zusammenarbeit unserer Agentur mit Chabad überall auf der Welt.«
Vilnius, oder Wilna, als das es die Juden vor dem Zweiten Weltkrieg kannten, durfte einst stolz sein auf seine 100 Synagogen, die fast alle zur Litvak-Gemeinde gehörten. Die 250.000 Juden Litauens wurden im Holocaust beinahe vollständig ausgelöscht. Die sowjetische Unterdrückung, zu der auch Konfiszierungen und die Verstaatlichung von religiösen Einrichtungen gehörten, lähmte die Gemeinschaft weiter. Nur die Taharot-Ha-Kodesh-Synagoge blieb geöffnet. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion machte die US-Regierung die Rückgabe jüdischen Eigentums zur Vorbedingung für die Aufnahme in die NATO und andere westliche Organisationen. Litauen trat dem Nordatlantischen Bündnis und der Europäischen Union 2004 bei.
Krinsky sagt, er setze alle seine Hoffnungen auf die Wiedergutmachung. Die jüdische Gemeinde von Vilnius bot ihm einen Sitz am Verhandlungstisch, aber er bestand auf dreien. Jetzt steht er ganz außerhalb des Prozesses. Vorgesehen ist, dass nach Verabschiedung des Entschädigungsgesetzes weder Eigentum noch Gelder aufgeteilt werden sollen. Jüdische religiöse, kulturelle, Bildungs- und Wohl- fahrtseinrichtungen müssen einen Antrag an eine Stiftung stellen, Projekte vorschlagen und begründen, wofür sie den Zuschuss verwenden wollen.
Krinsky muss also mit allen anderen konkurrieren. »Ich glaube«, sagt Rabbiner Andrew Baker vom American Jewish Committee, der die Verhandlungen mit der litauischen Regierung führt, »dass Chabad eine Förderung verdient, genau wie andere Institutionen.« Rabbiner Krinsky glaube jedoch, »dass er die einzig wahre religiöse jüdische Organisation in Litauen verkörpert.«
Krinsky hat auch versucht, den Entschädigungsprozess zu umgehen. Vor einigen Monaten wandte er sich direkt an das litauische Gesundheitsministerium und forderte die Rückgabe einer Immobilie, die früher im Besitz der Gemeinde war. Er erhielt eine Absage. Als amerikanischer Staatsbürger bat er die US-Botschaft in Wilna um Hilfe bei dem Versuch, das Gebäude einer staatlichen Musikschule inmitten der begehrten Altstadt zurückzuerlangen.
Das rief einen Skandal hervor. »Die Zeitungen waren voll von Stellungnahmen, in denen wichtige Regierungsvertreter sich darüber ausließen, dass die jüdische Gemeinde unfähig sei, sich selbst über eine Entschädigung zu einigen. Wie sollte da eine Vereinbarung möglich sein?«, berichtet Baker. »Wir sagten ihnen, wir wollten nicht, dass der Streit als Vorwand genommen wird, die Gespräche stocken zu lassen.«
Im April traf Krinsky mit Gemeindevertretern zusammen. Anschließend skizzierten diese in einem Brief die Bedingungen für eine Lösung. Darunter: Krinsky müsse öffentlich anerkennen, dass die Synagoge Eigentum der Gemeinde ist, und deren Wahl eines Oberrabbiners zustimmen. Er müsse aufhören, sich selbst Oberrabbiner zu nennen und sich einem offenen Finanzmanagement unterwerfen.
»Wenn er diese Bedingungen akzeptiert, ist eine Einigung sicherlich möglich«, meint Simonas Gurevicius, geschäftsführender Direktor der jüdischen Gemeinde Litauens. »Aber wenn jemand nicht in Frieden mit uns leben will – wie soll man da Frieden finden?«

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