Herr Schlobinski, bei Jugendlichen gibt es das Schimpfwort »Du Jude«. Wie verbreitet sind antisemitische Beleidigungen?
schlobinski: Mir ist keine Untersuchung zu diesem Thema bekannt. Es gibt nur Einzelbeobachtungen und Medienberichte. Da jede wissenschaftliche Basis fehlt, kann man keine fundierten Aussagen treffen.
Gibt es Erhebungen für andere Länder?
schlobinski: In Frankreich gibt es in den arabisch geprägten Ghettos das Schimpfwort »feuj«, eine Umkehrung von »juif«, Jude. 2002 erschien ein »Weißbuch«, worin über diese antisemitischen Ausdrücke geschrieben wurde. Die Medien berichteten in diesem Zusammenhang, dass Vergleichbares auch in Berlin existiere. Ob das so ist, müsste man prüfen. Die These, bei Jugendlichen gebe es einen antisemitischen Sprachgebrauch, ist so nicht haltbar. Man muss schauen, in welchen Szenen, Gruppen, Cliquen und sozialen Milieus das auftritt. Ich kann mir vorstellen, dass in Berlin in Stadtteilen mit bestimmtem ethnischen und sozialen Hintergrund Beschimpfungen wie »Du Jude« häufiger vorkommen.
Denken Sie nur an migrantische oder auch an rechtsradikale Milieus?
schlobinski: Ich leite das Projekt »Sprache in rechtsextremen Musikszenen«. Die NPD versucht, über Musik Jugendliche als Wähler zu gewinnen, Stichwort: Schulhof-CDs. Wir untersuchen die Texte dieser CDs, und die sind extrem antisemitisch und gewaltverherrlichend. Meine Hypothese: Bei denen, die dafür anfällig sind, werden rechtsradikale Tendenzen verstärkt. Wörter wie »Kanake« oder »Jude« liegen auf einer Ebene mit »Ungeziefer«.
Gibt es ähnliche Tendenzen auch in anderen musikalischen Subkulturen?
schlobinski: Auch im Gangsta-Rap haben wir Gewaltverherrlichung sowie die Stigmatisierung von Frauen und Homosexuellen. Der Hip-Hop ist ja durch die amerikanische Ghetto-Kultur geprägt. Da gibt es das, was man »rituelles Beschimpfen« nennt, verbale Duelle. Das hat in dieser Kultur gar nicht diese harte Dimension, aber wenn man es ins Deutsche übersetzt, hört es sich wahnsinnig brutal an. Wenn 12- oder 14-Jährige »Du Jude« sagen, wissen sie oft gar nicht genau, was Juden sind, das ist für die einfach ein negativer Ausdruck, den man allgemein anwenden kann. Antisemitische Vorurteile werden dadurch trotzdem tradiert.
Mit dem Linguisten an der Universität Hannover sprach Ingo Way.