Sehgewohnheiten

Vexierbilder

von Frank Keil-Behrens

Etwas Zeit sollte der Besucher schon mitbringen, besucht er die Ausstellung mit Filmarbeiten Omer Fasts, die bis zum 18. Januar im Kunstverein Hannover zu sehen ist. Auf insgesamt 133 Minuten addieren sich die sechs Videoinstallationen. Aber das ist nur eine statistische Größe. Denn die Filme des israelischen Künstlers sind keine linearen Arbeiten, mit Anfang und Ende. Vielmehr arbeitet er mit Schleifen, mit plötzlichen Standbildern, mit szenischen Irritationen. Wer deshalb schon nach wenigen Minuten das Gefühl hat, jede Orientierung verloren zu haben, der ist auf genau der richtigen Spur.
Auf den ersten Blick relativ simpel gestrickt, aber programmatisch angelegt und folglich am Anfang stehend, ist Fasts zweiteilige Arbeit Glendive Foley von 2000. Der Künstler hat sich in Glendive umgeschaut, einem verschlafenen Nest in Montana, das sich der kleinsten Fernsehstation der Vereinigten Staaten rühmen kann. Auf dem einen Monitor sieht man verschiedene Häuser des Ortes, in denen womöglich gerade ferngesehen wird. Der andere, genau gegenüber aufgestellte Bildschirm zeigt den Filmer bei der Arbeit: Mit seinem Mund und seinen Händen formt er Geräusche: ein gerade vorbeifahrendes Auto, das Bellen eines Hundes in einem Vorgarten, den Wind, der in diesem Moment durch Glendive pfeift. Im Nu wird dem Zuschauer klar, was er im Alltag so gerne verdrängt: Dass, was ich im Fernsehen, im Kino, im Internet wahrzunehmen meine, kann sich so ereignet haben, muss es aber nicht. Und umgekehrt.
Die so eingeschlagene Spur vertieft der 1972 in Jerusalem geborene und mittlerweile in Berlin lebende Videokünstler entscheidend in Take a Deep Breath. Die Idee dazu geht, heißt es, zurück auf eine Geschichte, die eine Zeit lang erst in den israelischen, dann in den internationalen Medien kolportiert wurde: Ein Passant wird Zeuge eines Bombenanschlages. Er eilt zum Tatort, findet einen schwerstverletzten Mann vor, den er zu beatmen sucht. Nach einer Zeit aber dämmert ihm: Der Mann ist kein Opfer; es ist der Attentäter, der da in seinem Blut liegt und stirbt.
Fast lässt diese Szenerie von einem Filmteam nachstellen, das seine Schwierigkeiten schon bei der Wahl des richtigen Attentatsdarstellers hat: Ist der eine nicht zu alt für die Rolle? Und soll er die Augen am Ende geschlossen oder offen haben? Also Drehpause und noch mal nachdenken. Derweil kommen zwei Polizisten, fragen nach einer Drehgenehmigung und wollen wissen , was hier eigentlich gefilmt wird: Eine Dokumentation? Ein Actionfilm? Eine Komödie? »Das ist schwer zu erklären«, antwortet der Regisseurdarsteller, den seine Crew »Omer« nennt.
Bisheriger Höhepunkt von Fasts Beschäftigung mit dem Genre des Fiktionalen versus dem Dokumentarischen, mit der so schwierigen Verwandtschaft von Realem und Realistischem, von Möglichem und Wahrscheinlichem ist die in diesem Jahr entstandene Arbeit Looking Pretty for God. Dabei geht es nicht nur darum, wie man eines Tages Gott gegenübertritt und dabei möglichst ansehnlich wirkt, sondern – gewissermaßen davorgeschaltet – wie man ausschaut, wenn die Angehörigen einen letzten Blick auf einen werfen. Dazu hat Fast verschiedene Bestatter über ihr Handwerk interviewt. Sie erzählen aus dem Off mit wachsendem Stolz, wie sie fehlende oder beschädigte Gesichtspartien durch Wachs ausgleichen, und dass Sekundenkleber ein einfach unschlagbares Mittel ist, um die eine oder andere Blessur nachträglich zu beseitigen. Zeitgleich findet in dem Bestattungsraum ein Fotoshooting mit Kindern für Werbeaufnahmen statt, das ebenfalls kosmetische Korrekturen verlangt: Haar muss sorgsam gescheitelt werden, Unreinheiten der Haut werden überpudert, Fingernägel werden gereinigt, bis alles wahrhaft clean und perfekt ausschaut. Später rieselt gar Kunstschnee leicht und herzig auf die nun sorgsam drapierte Kindergruppe, der so gar nichts Lebendiges mehr anhaftet. Und das ist denn auch das, was man anschließend lange nicht mehr vergisst: Obwohl nicht eine Sekunde lang ein Toter gezeigt wird, ist der Tod in jeder Sekunde anwesend und es stellt sich die Frage, ob er verschwinden könnte, würde er gezeigt.

Omer Fast: Kunstverein Hannover bis 18. Januar 09. Der Katalog zur Ausstellung ist im Kehrer Verlag erschienen
www.kunstverein-hannover.de

Sachsen-Anhalt

Fünf Stolpersteine in Magdeburg gestohlen

Die Tat soll sich am 1. April ereignet haben

 03.04.2025

Gastbeitrag

Vom Schweigen zum Handeln

Das Bayerische Bündnis für Toleranz ist heterogen. Doch beim Kampf gegen Antisemitismus steht es vereint

von Philipp Hildmann  03.04.2025

New York

UN: Hunderte Kinder seit Scheitern der Waffenruhe in Gaza getötet

Unicef-Exekutivdirektorin fordert die Terrororganisation Hamas und Israel auf, dem humanitären Völkerrecht nachzukommen und Kinder zu schützen

 01.04.2025

Berlin

»Hans Rosenthal erinnert uns daran, dass jüdisches Leben zu Berlin gehört«

Der Regierende Bürgermeister: »Er überlebte die Schoa nur, weil ihn einige mutige Frauen aus Lichtenberg in einer Schrebergarten-Kolonie versteckten«

 01.04.2025

USA

Michel Friedman: Trumps Krieg gegen Medien ist unerträglich

Der Publizist warnt vor den Angriffen des US-Präsidenten auf kritische Berichterstattung und akademische Freiheit

 28.03.2025

Bilanz

Beauftragter fordert Geld aus Sondervermögen für Gedenkstätten

Der Beauftragte für Sinti und Roma, Daimagüler, scheidet aus dem Amt. Bei der Vorlage seines Tätigkeitsberichts gibt er noch einige Empfehlungen für den künftigen Umgang mit der Minderheit

von Alexander Riedel  26.03.2025

Bundestag

Alterspräsident Gysi mahnt zu gegenseitigem Respekt

Der Linken-Politiker Gregor Gysi eröffnet die konstituierende Sitzung des neuen Bundestags. Er hat dabei eine ganze Menge zu sagen

 25.03.2025

Westjordanland

Oscar-prämierter Regisseur Ballal laut Augenzeugen von Siedlern verletzt

Anfang März noch stand Regisseur Hamdan Ballal bei der Oscar-Verleihung in L.A. im Blitzlichtgewitter. Nur drei Wochen später wird er laut Augenzeugen zusammengeschlagen

 25.03.2025

Israel

Bezalel Smotrich: 13 Wohnviertel sind nun Siedlungen

Durch die Erhebung zu eigenständigen Siedlungen kann die Regierung finanziell anders fördern

 23.03.2025