von Jonathan Scheiner
Beim Internationalen Literaturfestival Berlin wird es zu einem imaginären Treffen zwischen Serge Klarsfeld, Péter Nádas und László Kornitzer kommen. Alle drei sind Juden. Alle drei beschäftigen sich mit dem Problem der Erinnerung: Serge Klarsfelds Nachforschungen führten zur Ergreifung von NS-Verbrechern wie Klaus Barbie, Kurt Lischka oder Ernst Heinrichsohn. Der ungarische Autor Péter Nádas wurde mit seinem Buch der Erinnerung (1994) berühmt und verfaßte eine Erzählung über die Suche nach seinem Großonkel, der im französischen Lager Le Vernet d’Ariège interniert war. »Im stummen Gemurmel der Toten« greift weitgehend auf Klarsfelds Recherchen zurück. In Szene gesetzt wird die Erzählung vom dritten Mann im Bunde, dem in Budapest geborenen und in Deutschland lebenden Regisseur László Kornitzer.
Die Konstellation des Abends wirkt auf den ersten Blick kompliziert. Dabei hat das Programm einen überaus simplen Titel: »Auf Tod, auf Leben – Ein ungarisches Theaterdoppel«. Ein Doppel deshalb, weil Nádas ein Text eines weiteren Ungarn ge- genübergestellt wird: Péter Esterházy.
Kornitzer wagt viel, wenn er ein derart komplexes Projekt in Szene setzt, denn schon der autobiographische Text von Péter Nádas hat es in sich. Er erzählt von der schwierigen Suche nach Informationen über das Sammellager in der südfranzösischen Provinz. »Zwischen 1939 und 1945 verzeichnete das Lager 46.000 Gefangene aus 58 Nationen, und 158 von ihnen waren gleich hier auf dem Friedhof geblieben«, schreibt Nádas. Die anderen wurden innerhalb eines Jahres in sechs Zügen nach Dachau und Mauthausen deportiert. Der letzte erlangte als »Geisterzug« traurige Be- rühmtheit. Er irrte mit 700 Deportierten zwei Monate lang durch Europa. 563 Häftlinge kamen nach Dachau und Ravensbrück. Nur 176 erlebten die Befreiung.
Die Spuren des Lagers und seiner Insassen wurden über die Jahrzehnte verwischt. Immerhin findet Nádas im Heimatmuseum des Provinznests Le Vernet einige Alben mit Fotos der Internierten. Doch sein Onkel Pál Aranyossi ist nicht darunter. Statt sich selbst Klarheit verschaffen zu können, ist der 1942 geborene Nádas auf Aussagen von Zeitzeugen oder andere Quellen angewiesen. Hier schließt sich der Kreis zu Klarsfeld. Er hatte den Listen der Deportierten in jahrelanger Arbeit Fotos aus einer Zeit hinzugefügt, als sie noch Menschen und keine Zahl auf einer Liste waren. Nádas’ Erzähler gelingt das nicht. Kein Bild, kein »Lebenszeichen« seines Onkels ist zu finden.
Klarsfeld und Nádas treffen sich im Spannungsfeld zwischen kollektiver Verdrängung und persönlicher Erinnerung. Was reizte Regisseur László Kornitzer, sich ebenfalls auf dieses Feld zu begeben? Er wurde 1957 geboren, aber ein Teil seiner Familie sei betroffen. Von seinem Judentum hatte er erst bei der Beerdigung seines Vaters erfahren, als er das Kaddisch aufsagen sollte, ohne die Bedeutung der Worte verstehen zu können. Diesen Moment empfand er als Zäsur.
Kornitzer, der mit zwanzig Jahren aus Ungarn geflohen ist, versteht sich als liberaler Jude, der nur sporadisch in die Synagoge geht. Wie für jeden Juden aber habe die Schoa eine besondere Bedeutung für ihn. Auch deshalb verfüge er über einen eher persönlichen Zugang zum Nádas-Text. Bilder später deportierter Juden kenne er aus dem eigenen Familienalbum: »Da geht eine Erschütterung durch mich, als hätte ich das selbst erlebt.«
Die Premiere findet am Samstag, 16. September, 19 Uhr 30 im Haus der Berliner Festspiele in der Schaperstraße statt. Karten unter www.berlinerfestspiele.de oder unter Tel.: 030-25489-100