von Heidi Hechtel
Es ist ein Idyll. Das stattliche Schloß Großlaupheim, umgeben von gepflegtem Grün und ländlicher Stille. Einstmals Besitz der Freiherren von Welden und seit dem Jahr 2000 Museum. Doch es ist nicht die feudale Welt des Adels, die der Besucher des Schlosses in der Nähe von Ulm bewundern kann. Hier wird eine andere Welt vor dem Vergessen bewahrt: die der jüdischen Gemeinde in Laupheim, einer der größten im Königreich Württemberg. Durch den Nationalsozialismus wurde sie ausgelöscht. Genau wie die Welt des ostjüdischen Schtetls, die Mina Gampel in ihren Bildern wieder aufleben läßt. Die Malerin, Mitglied der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg in Stuttgart, stellt derzeit im Schloßmuseum aus.
Mina Gampel ist ein Kind dieser ostjüdischen Welt. 1940 kam sie in Pinsk, damals Polen und heute Weißrußland, zur Welt. Nach dem Einmarsch der Deutschen in die Sowjetunion begann für die Familie ein Leben auf der Flucht. Immer tiefer hinein nach Rußland, nach Samarkand, Taschkent und Frunse, überschattet von Verfolgung und Bedrohung. Zahlreiche Fami- lienangehörige werden ermordet, unter ihnen ihre zwei Brüder. Nach Kriegsende ging die Familie zuerst nach Stettin in Po-len und 1957 nach Israel. 1967 stellte sich Mina Gampel der Herausforderung, wieder ganz von vorne zu beginnen. Dieses Mal in Stuttgart, das ihr zur neuen Heimat wurde.
Doch stets ist sie sich ihrer Herkunft und ihrer Wurzeln bewußt und bringt sie in ihrer Malerei zum Ausdruck. »Jedes ihrer Bilder hat eine Geschichte und jede Geschichte erzählt dem Betrachter von Menschen«, sagte Cornelia Hecht, Kuratorin des Laupheimer Museums, bei der Vernissage. Es sind Geschichten vom religiösen und alltäglichen Leben, braun getönt wie alte Fotografien: Der Rabbiner mit seinem Schüler, der alte, ins Gebet versunkene Mann, der Wasserträger, ein Schneider, ein Kutscher, ein Schuster. Eigene Erinnerungen, die Schtetl-Fotografien von Roman Vishniac und private Fotos wurden zu inspirierenden Vorlagen: für das Mädchen an der Mauer, den Schwager auf der Straße in Stettin, das Kind Mina, das zusammen mit der Schwester aus dem Fenster schaut und die Hochzeit der Schwester unter der Chuppa. Ein Tryptichon der prallen Lebensfreude.
Die »Weitergabe der jüdischen Seele« bescheinigte Meinhard Tenné, der ehemalige Vorstandssprecher der IRG, der Künstlerin, die nicht nur viele Ausstellungen in Deutschland, sondern auch in Belgien, Schweiz und Polen hatte.
Mina Gampel ist Autodidaktin, ließ sich später professionell ausbilden und arbeitet heute selbst an der Kunstakademie in Esslingen als Dozentin. Angefangen hat alles mit einem Vergißmeinnicht-Bukett in Öl. Blumen sind nach wie vor ihre bevorzugten Motive: üppiger Flieder, Schwertlilien, ein Mohnfeld. In intensiven Farben, die auch ihre jüngsten Personenporträts bestimmen: »Figuren ohne erkennbare Gesichter, die sich fast auflösen«, beschreibt sie Cornelia Hecht. Die Künstlerin selbst spricht von ihrem »zweiten Impressionismus«.
Mina Gampel hat sich einen besonderen Rahmen für ihre Ausstellung gewählt.
Denn das Museum zur Geschichte von Christen und Juden dokumentiert mit 600 Exponaten – religiösen Gegenständen, Dokumenten, Fotos, Büchern und Gemälden – das Nebeneinander, Miteinander und Gegeneinander durch zwei Jahrhunderte. Die Bilder der beiden Laupheimer Künstler Friedrich Adler und Ivo Schaible, der eine Jude, der andere katholischer Priester und Salvatorianerpater, gehören zur ständigen Ausstellung.
Durch die Zimmerfluchten des Museums läßt sich chronologisch die historische Entwicklung ablesen: Wie Juden von 1806 an Untertanen im Königreich Württemberg wurden, Zugang zu Handwerk und Landwirtschaft erhielten, bedeutenden Anteil am wirtschaftlichen Aufschwung der Stadt erlangten, einträchtig mit den christlichen Nachbarn in Parteien und Vereinen zusammenarbeiteten und im Ersten Weltkrieg auch gemeinsam zu den Fahnen eilten. Beispielhaft steht für diese wachsende Integration die Familie Steiner, die 1843 dieses Schloß kaufte. Im Laufe der Generationen konvertierten einige Familienmitglieder, es kam zu gemischt-konfessionellen Ehen oder Einheirat in den Adel. Wo einst repräsentativ ge- tafelt wurde, ist der Betrachter Zaungast eines fiktiven Familientreffens. Dann wird der Boden abschüssig. Die Neigung versinnbildlicht den beginnenden Untergang dieser friedlichen Koexistenz.
Mehr als 300 jüdische Laupheimer rettete der wohl berühmteste Sohn der Stadt: Carl Laemmle. Er stellte den Laupheimer Juden Bürgschaften aus. 1884 wanderte er selbst nach Amerika aus und begründete die Universal Film Company. Ihm ist im Museum eine eigene Ausstellung gewidmet, die mit einem kleinen Filmtheater den Glamour der Stars und Studios von Hollywood ahnen läßt. Heute leben in Laupheim keine Juden mehr. Doch es gab und gibt versöhnliche Kontakte. Und die Erinnerung, wach gehalten in diesem Museum.
Schloß Großlaupheim, Claus-Graf-Stauffenberg-Straße 15, Laupheim, Telefon 07392/96 80 00. Die Ausstellung von Mina Gampel ist bis zum 17. September zu sehen. Geöffnet Samstag 14-17 Uhr, Sonn- und Feiertage 13 bis 17 Uhr und nach Vereinbarung.