von Jonathan Scheiner
»Seit Tagen ist die Sonne nicht aufgegangen. Eine schöne Blume in der Vase. Ein Hausschuh am Kamin. Das Cello liegt im Koffer.« Das sind die poetischen ersten Verse aus dem Debütalbum von Oren Lavie. Passenderweise lautet der Titel »The Opposite Side of the Sea«. Von der anderen Seite des Meeres hat es den Israeli nach Berlin gespült. Davor hat er in New York »erfolglos versucht, zu überleben«, wie er sagt. Für kurze Zeit hat er es auch in London probiert. Dorthin war er 1998 aus Tel Aviv gekommen, um Theaterregie zu studieren. Da hatte er den Hauptpreis beim »Acco Festival of Alternative Israeli Theatre« schon in der Tasche, immerhin der israelische Nationalpreis für Theaterautoren. Doch dann hat Oren Lavie einfach das Fach gewechselt, obwohl schon zwei seiner Stücke erfolgreich an Londoner Theatern uraufgeführt worden sind. Jetzt ist er Singer- and Songwriter.
Der 1976 in Haifa geborene Oren Lavie ist schon sichtbar in Prenzlauer Berg angekommen. Er trägt das coole Outfit eines dreißigjährigen Szenegängers: Grauer Secondhand-Mantel, schlabberige Jeans, großer Ohrring und einen knielangen Wollschal. Nicht zu vergessen einen Zehn-Tage-Bart und eine zauselige Löwenmähne. Das passt gut zum Namen. Lavie kommt vom biblischen Wort für Löwe.
Nicht nur äußerlich hat Oren Lavie sich akklimatisiert, auch seelisch. Er hat die triste Winterstimmung in der Stadt tief in sich aufgesogen und in wunderschöne melancholische Songs gegossen. Doch wie kommt einer, der unter der Sonne Israels aufgewachsen ist, auf die Idee, im grauen Berlin als Musiker zu arbeiten? »Das war Zufall. Ein Freund schwärmte von der entspannten Atmosphäre und den sensationell billigen Mieten. Also kam ich her.« Das war vor drei Jahren. Seither hat der Sänger weder Deutsch gelernt noch andere jüdische Musiker kennengelernt. Aber wenigstens hat er an den Hohen Feiertagen schon einmal eine Synagoge besucht – oder von außen angeguckt. Er komme eben nicht aus einem religiösen Elternhaus, sagt er. Seine Familie stamme aus aller Herren Länder, großväterlicherseits aus Rumänien und Russland, großmütterlicherseits aus Ägypten und Syrien.
Doch von einem selbst gewählten Eremitentum in Berlin kann keine Rede sein. Das selbst produzierte Debütalbum ist bei einem deutschen Label (Tuition Records) erschienen und hat ohnehin all die Mühe gelohnt. Oren Lavie hat eine herrliche sonore Stimme, die er mit den Keyboards oder mit der Gitarre selbst begleitet. Hier und da assistiert ihm ein Cello oder ein handzahmer Schlagzeuger mit Besen. Sonst stört nichts die introvertierte Grundstimmung des Albums. Die Reduziertheit erinnert an seine Vorbilder Leonard Cohen und Jacques Brel. Doch der Sänger wiegelt ab. »Ich habe einfach nur versucht mein Ding zu machen und meinen persönlichen Sound zu finden.« Diese Qualität haben auch die Macher der Pro Sieben-Vorabendserie »Verrückt nach Clara« erkannt, als sie einen Titelsong gesucht und ausgerechnet bei Oren Lavie gefunden haben. Ansonsten hat sich Lavies Name bisher nur in kleinem Kreise herumgesprochen. Also spielt der Israeli in Clubs oder geht solo als Anheizer für Stars wie die Schwedin Anna Ternheim auf Tournee. »Ich hoffe, dass dadurch mehr Leute auf meine Musik aufmerksam werden.«