von Ingo Way
Die westliche Welt führt einen Kreuzzug gegen das Rauchen. In den USA ist der Genuss des Glimmstengels gesellschaftlich vielerorts schon völlig verpönt. Und auch in Europa geht es voran. Irland machte im Jahr 2004 den Anfang mit einem flächendeckenden Rauchverbot in öffentlichen Räumen und Pubs, die meisten EU-Länder zogen nach, und in diesem Jahr war es auch in Deutschland so weit: In den meisten Bundesländern ist das Rauchen in öffentlichen Gebäuden verboten; in Kneipen und Restaurants darf nur noch in abgetrennten Nebenräumen gequalmt werden. Angesichts des immer intoleranter werdenden Klimas und der zunehmenden Steine, die dem Rauchgenuss im Namen der Volksgesundheit in den Weg gelegt werden, gewöhnen sich viele das Laster lieber gleich ab. Die Zahl der Raucher ist seit einigen Jahren rückläufig und liegt in Deutschland heute bei ungefähr 25 Prozent der Erwachsenen.
Auch Israel verschließt sich diesem allgemeinen Trend nicht. Dort rauchen nur noch 23,5 Prozent der Erwachsenen, das sind zwar zweieinhalb Prozent mehr als in den Vereinigten Staaten, aber sehr viel weniger als der EU-Durchschnitt. Der liegt bei 31 Prozent.
Und doch sieht die israelische Regierung noch großen Handlungsbedarf. Deshalb veranstalteten das Gesundheits- und das Erziehungsministerium, die Krankenkassen, die Sanitätstruppe der Armee und die Polizei Ende Mai in Jerusalem die zweite Nationale Konferenz zur Vorbeugung und Einschränkung des Rauchens. Der Termin war mit Bedacht gewählt – der 28. Mai ist in Israel der offizielle Nichtrauchertag. Und so versammelten sich im Hotel des Kibbuz Ramat Rachel im Süden Jerusalems etwa 100 Teilnehmer, um Kon- zepten zu lauschen, wie dem Übel des Rauchens endgültig der Garaus gemacht werden könne.
Den Eröffnungsvortrag hielt Michael Eriksen, Direktor des Instituts für öffentliche Gesundheit der Georgia State University. Eriksen wartete – dem Konferenzbericht der Jerusalem Post zufolge – mit er- schreckenden Zahlen auf. Allein in den USA stürben jedes Jahr 160.000 Menschen an Lungenkrebs. Voraussichtlich werde im Jahr 2025 der Tabakgenuss die weltweit häufigste Todesursache sein. Bis zum Jahr 2050 würden 520 Millionen Menschen an den Folgen des Rauchens gestorben sein.
Wie immer, wenn sich wissenschaftlicher Anspruch und politisches Anliegen vermischen, scheint es jedoch sinnvoll, Skepsis walten zu lassen – zumal wenn es um alarmistische Zahlen und Zukunftsprognosen geht. Doch bezüglich der Gefahren des Tabaks schienen alle anwesenden Experten sich einig gewesen zu sein, glaubt man der Jerusalem Post. Als es um die Gegenmaßnahmen ging, offenbarten Gesundheitsminister Ya’acov Ben-Yizri, Leah Rosen vom Nationalen Institut für Gesundheitspolitik und Haim Geva-Haspil, Mitarbeiter im Gesundheitsministerium, laut Bericht erstaunliche Fantasielosigkeit: Werbeverbot für Tabak, mehr Aufklärung an Schulen, mehr Geld für Kampagnen, so lauteten die Devisen. Einzig Yossi Azuri von Maccabi Health Services, dem zweitgrößten israelischen Krankenversicherer, wies auf neuere medizinische Entwicklungen in der Suchtbehandlung hin. So wurden etwa Impfstoffe entwickelt, die verhindern, dass Nikotin die Rezeptoren im Gehirn erreicht. Das Rauchen verursacht so keinen Kick mehr. Man könnte theoretisch Kinder und Jugendliche mit dieser Substanz impfen – dies würde jedoch ethische Probleme aufwerfen, da es einen Eingriff in den freien Willen der jungen Leute darstellen würde, so Azuri.
Auch gibt es Hinweise, dass die Methode des rapiden Opioid-Entzugs, die der Arzt Andre Waismann vom Barzilai Medical Centre in Ashkelon entwickelt hat, auch bei Nikotinabhängigkeit wirken kann. In die Schlagzeilen kam diese Methode, als bekannt wurde, dass die britische Soulsängerin Amy Winehouse sich in Ashkelon gegen ihre Heroinsucht behandeln lassen will. Dabei wird der Patient in eine mehrstündige Vollnarkose versetzt, während derer ihm ein Medikamentencocktail verabreicht wird, der die Opiatrezeptoren im Gehirn blockiert. Der Patient verschläft sozusagen seine Entzugserscheinungen und hat nach dem Aufwachen keinerlei Appetit mehr auf seinen Stoff – so lauten jedenfalls die Erfolgsmeldungen in Bezug auf Heroin und andere harte Drogen.
Doch hätte der Konsum der alten Kulturpflanze Tabak ausschließlich mit Krankheit, Sucht und Tod zu tun – wer würde dann überhaupt zur Zigarre, Zigarette oder Pfeife greifen? Fehlt nicht doch ein wichtiger Aspekt? Gar nicht fassen konnte es der Abstinenz-Befürworter Eriksen, als er während der Konferenz erfuhr, dass nur ein Viertel aller israelischen Raucher den Wunsch verspüre, sich das Rauchen abzugewöhnen. Die Vorstellung, dass jemand freiwillig und gern inhaliert, ist den Anti-Tabak-Aktivisten offenbar völlig fremd. Kein gutes Zeichen, wenn es um die Frage der Angemessenheit und Ausgewogenheit politischer Maßnahmen geht. In diesem Weltbild hat auch der Gedanke der Güterabwägung wenig Platz – dem zweifellos erstrebenswerten Gut der Gesundheit stehen Aspekte der kulturellen Tradition, des Genusses, der Geselligkeit und nicht zuletzt der freien Entscheidung und des Eigentums am eigenen Körper gegenüber.
Schwer vorzustellen, dass sich die Israelis gerade auf diesem Gebiet vorschreiben lassen, was sie zu tun und zu lassen haben. Gehen doch selbst die als obrigkeitshörig verschrieenen Deutschen auf die Barrikaden. Zwei Kneipenwirte aus Berlin und Baden-Württemberg hatten gegen das Rauchverbot geklagt, weil ihre mehrheitlich rauchenden Gäste wegblieben und sie schmerzhafte Umsatzeinbußen zu erleiden hatten. Nun hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe über die Zulässigkeit des Rauchverbots zu entscheiden. Noch vor der Sommerpause soll das Urteil verkündet werden. Bis dahin kann getrost in Biergärten geraucht werden.