Fred Wander

Unterwegs mit leichtem Gepäck

von Ursula Seeber

»Einer, der das gute Leben leben will, der lebt es«, hat Fred Wander, Henry Miller zitierend, auf die Frage nach dem Titel seiner Erinnerungen Das gute Leben (1996) geantwortet, ohne Ironie oder Verbitterung. Er hat es gelebt, das gute Leben, trotz Exil, Verfolgung und KZ.
Ich habe Fred Wander im Wiener Literaturhaus kennengelernt. Wenn er, der selten öffentlich auftrat, hier las und erzählte, wenn er Vorträgen zuhörte, die hier für ihn gehalten wurden, war der Veranstaltungssaal überfüllt. Er war menschenfreundlich und lebensklug, charmant und schlagfertig, immer von jungen Fans und Freunden umgeben.
In Wien war Wander als Fritz Rosenblatt zur Welt gekommen, 1917 am Ulrichsplatz im 7. Gemeindebezirk. Seine Jugend verbrachte er in der Kaiserstraße, wo sein Großvater Schneider war. In der Zieglergasse ging er zur Schule. Nach dem »Anschluß« 1938 flüchtete der junge Arbeiter vor den Nazis nach Frankreich. 1942 wurde er von dort an die Deutschen ausgeliefert. Er überlebte 13 Konzentrationslager, darunter Auschwitz. Nach der Befreiung 1945 ging er zunächst zurück nach Wien. Kaum bekannt und bisher nicht wieder veröffentlicht sind seine journalistischen Arbeiten aus der Nachkriegszeit, als Wander für die kommunistische Volksstimme und den Abend schrieb. Begabt mit einem Blick für die »Marktplätze der Einsamkeit« in den Vorstädten und Seitengassen und für die kleinsten Zeichen auf der »Menschen-Landkarte«, trieb er sich im Nachkriegswien umher und berichtete über Arbeitslose und kriminelle Jugendliche, über aussterbende Berufe oder einfach nur über Plätze der Stadt und kuriose Begegnungen mit ihren Bewohnern. 1958 übersiedelte der überzeugte Sozialist nach Ostberlin. Anfang der achtziger Jahre kehrte er nach Wien zurück. Dort ist er vorige Woche gestorben.
Fred Wander hat Romane und Erzählungen geschrieben, er war Autor von Jugendbüchern und Theaterstücken. Kultstatus hatten in der DDR die zum Teil mit seiner Frau Maxie Wander verfaßten Reisebücher über Holland, Paris und Südfrankreich. Nicht zuletzt hat er die eigenen Erfahrungen von Exil und Verfolgung literarisch verarbeitet. Eine Art des Sprechens über den Holocaust, die nicht nur Zeugnis ablegen, sondern dem Erlebten eine triftige literarische Form geben will, dieser Aufgabe hat sich Fred Wander 1971 mit der Erzählung Der siebente Brunnen gestellt. Darin beschreibt er seine Erfahrungen in den Lagern, einen Lebens- und Leidensweg, der auch der von tausenden anderen Häftlingen war. Der siebente Brunnen ist einer der wichtigsten Texte über die Schoa: weise und eindrücklich erinnert Wander hier an die not-wendende Kraft des Erzählens. 1985 erschien das Buch im Westen mit einem Nachwort von Christa Wolf, wurde aber kaum zur Kenntnis genommen und war bis vor kurzem weitgehend vergessen. 2005 im Wallstein Verlag wiederaufgelegt, wurden Der siebente Brunnen und sein Autor vom literarischen Betrieb spät wiederentdeckt.
Die Schoa war ein prägendes Erlebnis für den Menschen und Schriftsteller Fred Wander. »Es gibt keine lebende Sprache, um darüber zu reden oder zu schreiben, was wir, die Überlebenden der Schoa, gesehen haben. Wir reden und schreiben, aber wir schweigen zugleich, uns fehlen die Worte«, heißt es in seiner Autobiografie Das gute Leben, die Anfang 2006 neu überarbeitet bei Wallstein erschienen ist. Als »Holocaustautor« wollte Fred Wander aber nicht festgelegt werden. Auch anderen Zuordnungen wie »DDR-Schriftsteller«, »österreichischer Autor«, »Gefährte von Maxie Wander« begegnete er abwehrend. Als Kind armer ostjüdischer Einwanderer, als Emigrant und als Lagerhäftling hatte er überreichliche Erfahrung im Ausgegrenzt- und Etikettiertwerden.
Fred Wander war, wie er in seinen Memoiren schrieb, »unterwegs, mein Gepäck ist leicht«. Mit diesem Bild des Reisens, Flanierens, Vagabundierens enden die Erinnerungen eines Mannes, der sich als Schriftsteller den Namen Wander gab und dessen Grundmotive Heimatlosigkeit und Nichtzugehörigkeit waren.

Fernsehen

Mit KI besser ermitteln?

Künstliche Intelligenz tut in Sekundenschnelle, wofür wir Menschen Stunden und Tage brauchen. Auch Ermittlungsarbeit bei der Polizei kann die KI. Aber will man das?

von Christiane Bosch  21.04.2025

Reaktionen

Europäische Rabbiner: Papst Franziskus engagierte sich für Frieden in der Welt

Rabbiner Pinchas Goldschmidt, der Präsident der Konferenz Europäischer Rabbiner, würdigt das verstorbene Oberhaupt der katholischen Kirche

 21.04.2025

Berlin

Weitere Zeugenvernehmungen im Prozess gegen Angreifer auf Lahav Shapira

Der Prozess gegen Mustafa A. am Amtsgericht Tiergarten geht weiter. Noch ist unklar, ob am heutigen Donnerstag das Urteil bereits gefällt wird

 17.04.2025

Indischer Ozean

Malediven will Israelis die Einreise verbieten

Es ist nicht die erste Ankündigung dieser Art: Urlauber aus Israel sollen das Urlaubsparadies nicht mehr besuchen dürfen. Das muslimische Land will damit Solidarität mit den Palästinensern zeigen.

 16.04.2025

Essen

Was gehört auf den Sederteller?

Sechs Dinge, die am Pessachabend auf dem Tisch nicht fehlen dürfen

 11.04.2025

Spenden

Mazze als Mizwa

Mitarbeiter vom Zentralratsprojekt »Mitzvah Day« übergaben Gesäuertes an die Berliner Tafel

von Katrin Richter  10.04.2025

Jerusalem

Oberstes Gericht berät über Entlassung des Schin-Bet-Chefs

Die Entlassung von Ronen Bar löste Massenproteste in Israel aus. Ministerpräsident Netanjahu sprach von einem »Mangel an Vertrauen«

 08.04.2025

Würdigung

Steinmeier gratuliert Ex-Botschafter Primor zum 90. Geburtstag

Er wurde vielfach ausgezeichnet und für seine Verdienste geehrt. Zu seinem 90. Geburtstag würdigt Bundespräsident Steinmeier Israels früheren Botschafter Avi Primor - und nennt ihn einen Vorreiter

von Birgit Wilke  07.04.2025

Weimar

Historiker Wagner sieht schwindendes Bewusstsein für NS-Verbrechen

Wagner betonte, wie wichtig es sei, sich im Alltag »gegen Antisemitismus, gegen Rassismus, gegen Muslimfeindlichkeit und gegen jede Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit« zu engagieren

 07.04.2025