Stell Dir vor, es ist Krieg und keinen interessiert’s. Da wird vor aller Augen massenhaft getötet, und die Welt schaut zu. Ganze Völker werden ausgelöscht, und keine Supermacht gebietet dem Morden Einhalt. Denn wäre es nicht barbarisch, der heimischen Exportwirtschaft durch Militärinterventionen zu schaden? Und wer weiß schon, wie ein solches Einschreiten enden würde? Überhaupt sollten wir uns nicht in innere Angelegenheiten einmischen. So argumentieren Politiker gerne, wenn sie ihre Untätigkeit, ihre Teilnahmslosigkeit, ihr mangelndes Mitgefühl kaschieren wollen. Deshalb müssen sehr viele Menschen täglich sterben. Unterlassene Hilfeleistung – das ist das eigentliche Thema der Dokumentation »Scream Bloody Murder« von CNN-Starreporterin Christiane Amanpour. Zwei Stunden über Genozide und systematischen Terror, von Ar- menien bis Darfur. Zwei Stunden über das Wegschauen der Weltgemeinschaft.
Amanpour lässt ihre Reportage in den Gaskammern von Auschwitz beginnen. Das hat dramaturgische, aber auch inhaltliche Gründe. Zum einen bleibt das Mons-tröse der Schoa trotz aller folgenden Völkermorde singulär. Zum anderen ist der Film einem Holocaustüberlebenden gewidmet: Raphael Lempkin. Der polnische Jude war nicht nur Friedensforscher und Jurist, sondern hat auch einen Begriff geprägt, der seit 1943 immer wieder gebraucht werden muss: Genozid.
Mehr noch. Lempkin formulierte 1947 einen Gesetzesentwurf für die UNO zur Bestrafung von Genoziden. Am 9. Dezember 1948 wurde der Text als »Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes« von der Generalversammlung einstimmig beschlossen. Verhütet oder bestraft wurde seitdem so gut wie nichts. Giftgas gegen Kurden, Macheten gegen Tutsis, Hunger gegen Kambodschaner – kaum einen hat’s gekümmert oder gar bekümmert. Vor allem die US-Regierung nicht. Deren Vertreter konfrontiert Amanpour immer wieder mit der entscheidenden Frage: Warum hat Washington nicht eingegriffen? Die Journalistin bekam stets eine Ausrede zur Antwort. Christian Böhme
CNN, 5. Dezember 3, 11 und 18 Uhr, 6. Dezember 13 und 21 Uhr, 7. Dezember 2 Uhr