Asmi Bischara

Unter Verdacht

von Wladimir Struminski

Das Drama um den Knessetabgeordneten Asmi Bischara, der dieser Tage die israelischen Schlagzeilen beherrscht, könnte einem Politthriller entstammen. Der Mantel strikter Geheimhaltung, den die Behörden über die Affäre ausgebreitet haben, macht die Rauchwand noch dichter. Ende März verließ Bischara seine Heimatstadt Nazareth Richtung Jordanien. Es war aber keine gewöhnliche Auslandsreise, wie der in der arabischen Welt begehrte Gastredner sie häufig unternimmt. Zwei Wochen später enthüllte die in Nazareth erscheinende arabische Zeitung A-Sinara, dass Bischara eine Niederlegung seines Abgeordnetenmandats erwägt. Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe, zumal die Medien mit ungewohnter Diskretion keine Erklärung für die Rücktrittsabsicht des streitbaren Deputierten boten. Erst später sickerte durch, dass gegen Bischara wegen mutmaßlicher Verstöße gegen die Landessicherheit ermittelt wird. Allerdings hatten die Behörden nicht nur die Veröffentlichung von Einzelheiten, sondern auch jegliche Erwähnung der Ermittlungen selbst untersagt. An letztere Anweisung hielten sich die Medien jedoch nur bedingt. Am Sonntag dieser Woche hob sie ein Amtsgericht auch auf. Hinsichtlich der gegen Bischara bestehenden Verdachtsmomente blieb die Nachrichtensperre jedoch in Kraft, um die Ermittlungen nicht zu behindern.
Daher lässt sich nur ein ungefähres Bild der Affäre zeichnen. Falls die öffentlich gewordenen Spekulationen zutreffen, wird Bischara Spionage zur Last gelegt. Nach Überzeugung des auf Sicherheitsfragen spezialisierten Internetportals steht der Abgeordnete im Verdacht, während des vorjährigen Libanonkrieges Informationen an den Feind weitergeleitet zu haben. Bei dem Empfänger habe es sich wahrscheinlich um die Hisbollah gehandelt. Die Ermittlungen werden von der Polizeiabteilung für internationale Kriminalität ge-
führt. Bischara selbst sieht sich als Opfer einer Intrige der israelischen Sicherheitsorgane. Er werde, erklärte er gegenüber arabischen Medien, wegen seiner Forderungen nach einer Autonomie für israelische Araber und seines Engagements für die arabische Sache schlechthin verfolgt. Israel, so der Verdächtige, werde mit der Herausforderung, die er darstelle, einfach nicht fertig. Deshalb wollten die Behörden ihn verhaften. In der jüdischen Öffentlichkeit, zum Teil aber auch unter Arabern gilt diese These als nicht allzu plausibel. Schließlich habe Bischara in der Vergangenheit schon oft politisch angeeckt, ohne von der Justiz belangt worden zu sein.
Genau das verleiht der Affäre besondere politische Brisanz: Bischara ist nicht irgendwer, nicht einmal ein grauer Hinterbänkler. Vielmehr hat er sich als Wortführer eines arabisch-nationalistischen Lagers profiliert, das die arabische Minderheit gegen ihren Staat aufzubringen sucht. Der ungläubige Christ und ehemalige Kommunist, 1986 an der Ostberliner Humboldt-Universität in Philosophie promoviert, ist Gründer und Übervater der Balad-Partei. Erklärtes Ziel der heute mit drei Mandaten vertretenen Balad ist es, die israelischen Araber als eine nationale Gruppe zusammenzuschweißen. Den zionistischen Charakter des Staates will die Partei unter dem Banner »Staat aller Bürger« abschaffen. Bischara selbst lässt keine Gelegenheit aus, sich von Israel zu distanzieren. Er sei, erklärte der Volksdeputierte seinerzeit, kein israelischer, sondern ein palästinensisch-arabischer Demokrat. In den arabischen Medien firmiert er als »palästinensischer Intellektueller« oder sogar »palästinensischer Parlamentarier«, zur Not eben auch »palästinensisches Mitglied der israelischen Knesset«.
Israel ist für Bischara im Zweifelsfall ein Feind. Nach dem israelischen Rückzug aus dem Südlibanon im Jahre 2000 erklärte der Nazarener Politiker: »Wir haben den Geschmack des Sieges gekostet.« Nach dem zweiten Libanonkrieg bekundete Bi-
schara seine Genugtuung über Erfolge der Hisbollah im Kampf gegen Israel. Ein Recht der Palästinenser auf Widerstand gegen Israel ist für ihn eine Selbstverständlichkeit. Dass »Mukawame« – arabisch für »Widerstand« – im palästinensischen Sprachgebrauch auch Terroranschläge um-
fasst, wird Bischara, der unter anderem an der palästinensischen Bir-Zeit-Universität unterrichtet hat, kaum entgangen sein. Deshalb steht für die meisten Juden fest, dass der Balad-Chef den Terrorismus fördert. Nicht gerade beliebt machte er sich auch durch seine Besuche in Syrien 2001 beziehungsweise im vergangenen Jahr.
Dass er bisher nicht vor Gericht gestellt wurde – so gilt der unerlaubte Besuch in einem Feindesland als strafbar – hat Bi-
schara nur seinem Status als Knessetmitglied zu verdanken. Im vergangenen Jahr befand das Oberste Gericht, dass selbst Bischaras Lob der Hisbollah in Ausübung seines parlamentarischen Mandats ge-
schah. Gerade deshalb sind viele Israelis jetzt geneigt zu glauben, diesmal habe Bi-
schara mehr am Stecken als bloße politische Provokation. Wie es weitergeht, ist offen. Solange er die Aufhebung seiner parlamentarischen Immunität und an-
schließende Verhaftung befürchten muss, gilt Bischaras Rückkehr nach Israel als unwahrscheinlich. Im Zweifelsfall bedeutet das jahrelanges Exil. Für Bischaras Kritiker kein Grund zur Trauer: »Es wäre am besten, er bliebe weg«, urteilte Ex-Premier und Likud-Vorsitzender Benjamin Netanjahu. Sollte sich der Spionageverdacht je-
doch verflüchtigen, wird der geschliffene Intellektuelle Bischara um Rache nicht verlegen sein. Dann stünde Israel ein politisches Erdbeben ins Haus.

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