von Wladimir Struminski
Die Kulisse sah bedrohlich aus. In der vergangenen Woche trat in Jerusalem das Sicherheitskabinett zusammen – die kleine Ministerrunde, in der die wirklich wichtigen Entscheidungen getroffen werden. Auf der Tagesordnung stand ein gewichtiges Thema: Wie lässt sich der Raketenbeschuss des israelischen Territoriums aus dem Gasa-Streifen wirksam eindämmen? Wer aber erwartet hatte, die Ministerrunde werde Fliegerformationen und Panzerkolonnen gegen Gasa in Marsch setzen, sah sich getäuscht. Das Ergebnis der Antiterrorberatung war viel bescheidener: »Es wurde festgestellt«, teilte im Anschluss an die Sitzung das Ministerpräsidentenamt mit, »dass der Gasa-Streifen ein feindliches Gebiet ist«. Deshalb werde Israel zusätzliche Sanktionen gegen das in Gasa re- gierende Hamas-Regime verhängen: eine Reduktion der Treibstoff- und Stromversorgung sowie weitere Einschränkungen des Personen- und Güterverkehrs.
Auf der internationalen Bühne stieß der israelische Beschluss auf scharfe Kritik. Die EU und der UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon forderten Jerusalem auf, den Sanktionsbeschluss rückgängig zu machen. In Israel selbst regten sich Zweifel an der Wirksamkeit der neuen Politik. »Leere Drohung«, urteilte ein Kommentator der Tageszeitung Haaretz. Sanktionen, so der Rechtsexperte Zeev Segal, seien ohnehin nur in begrenztem Umfang möglich. Angesichts der humanitären Bestimmungen des Völkerrechts wäre ein voller Versorgungsstopp verboten.
Völlig unbeeindruckt zeigten sich die palästinensischen Terrororganisationen. »Stromabschaltungen und Treibstoffblockaden«, gifteten die Isaddin-Al-Kassam-Brigaden, der bewaffnete Flügel der Hamas, »werden das Kassam-Feuer niemals stoppen«. »Raketen«, sekundierte der Islamische Dschihad, »bekräftigen unseren Entschluss zur Fortsetzung des Heiligen Krieges«.
Dass das Leid der Massen für sie kein Grund zum Verzicht auf den bewaffneten Kampf ist, hat die Hamas-Regierung seit ihrer Machtübernahme in Gasa bereits mehfach bewiesen. Nach einem in der vergangenen Woche veröffentlichten Bericht der Weltbank lebten 2006 etwa 35 Prozent aller Bewohner von Gasa in tiefer Armut, während die Arbeitslosigkeit bei 39 Prozent lag. Seitdem hat sich die Lage weiter verschärft. Waren im Sommer 2005 knapp 4.000 Unternehmen in Gasa tätig, so waren es im Juli 2007 nicht einmal 800 – Tendenz auch hier sinkend. Das nehmen die politische Führung der Hamas und die Raketenschützen in Kauf.
Letztendlich wissen die israelischen Entscheidungsträger wohl selbst, wie stumpf die ökonomische Waffe ist. Ganze zwei Tage nach dem Sanktionsbeschluss wusste die Tageszeitung Jerusalem Post von einer gänzlich anderen Initiative des stellvertretenden Generalstabschefs Mosche Kaplinski zu berichten. Dem kampferprobten Generalmajor schwebt eine völlige Trennung vom Gasa-Streifen vor – aber keine Blockade. Ganz im Gegenteil: Nach seinen Vorstellungen soll der gesamte grenzüberschreitende Verkehr des Gasa-Streifens über eine offene Grenze zu Ägypten abgewickelt werden.
Nach einem Bericht der arabischen Zeitung Al-Schark al-Awsat wiederum hat Israel der Hamas mit Hilfe der norwegischen Regierung direkten Dialog und Verhandlungen über einen Waffenstillstand angeboten. Ein solcher Schritt würde eine schwere Demütigung für Israels offiziellen Friedenspartner, den palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas, bedeuten. Angesichts der großen Ratlosigkeit, die Israels Politik gegenüber dem Unruheherd Gasa prägt, lässt sich aber nicht einmal das ausschließen.