Probieren, Analysieren, Reagieren – all das, was zum Weinausbau gehört, darf Winzer Bernhard Rolletter diesmal nicht. Jedenfalls nicht bei dem Most, der zu koscherem Wein vergären soll. Nicht einmal eine Probe entnehmen darf er. Die Weintanks sind versiegelt. Rolletter berichtet davon, dass zu seinem Erstaunen sogar die Glasröhrchen an den Tanks beklebt wurden, um den Wein vor den Blicken zu schützen.
Denn weder die abgeernteten Trauben noch den Most dürften Nichtjuden zu sehen bekommen, sei ihm zuvor erklärt worden. »Das sind halt die religiösen Regeln«, sagt der 50-Jährige. Dass er sich zurücknehmen muss, schmerzt den Winzer aus Rheinhessen ein wenig, aber er hat Verständnis dafür.
Prognosen, wie der Wein wird, mag Rolletter nicht abgeben, weil er am Entstehungsprozess nur indirekt beteiligt ist. Hätte er selbst »die Fäden in der Hand« gehabt, dann wäre garantiert kein süßer Wein, wohl aber ein guter Tropfen entstanden. Denn der Portugieser aus seinem Weinberg bei Ingelheim habe im Gegensatz zum vergangenen Jahr »weniger Säure und mehr Reife«.
Gärung »Über süßen Wein«, sagt Rolletter, »heißt es ja, dass er einfacher zu produzieren ist.« Von wegen. »Ich selbst habe ja keine Möglichkeit, direkt in den Prozess einzugreifen«, erklärt der Winzer. Die Gärung des »Nagila«, so der Name des koscheren Weins, werden ausschließlich Rabbiner prüfen, die wiederum Rolletter telefonisch einbestellen muss.
Ausgeheckt hat die Idee mit dem koscheren Wein aus Deutschland der Weinhändler und -importeur Wolfgang Lehmann, der auf exotische Tropfen spezialisiert ist. In seinem Sortiment hat der Geschäftsmann aus Nauheim auch koschere Weine aus Israel und anderen Ländern. Zu Lehmanns Kunden gehören jüdische Gemeinden, koschere Restaurants und auch Privatpersonen.
Experiment Vor etwa 15 Jahren brachte er erstmals einen befreundeten Winzer aus dem rheinhessischen Schwabenheim dazu, das Experiment zu wagen. In diesem Jahr arbeitet Lehmann mit Rolletter zusammen – »weil unsere Bestände an heimischem koscheren Wein zu Ende gehen«.
Es ist inzwischen die fünfte Produktion, die Lehmann angeregt hat; diesmal unter der Aufsicht von Rabbinern ausschließlich aus Deutschland. Dass aus den Trauben, die auf Rolletters Weinberg geerntet wurden, koscherer Wein wird, das garantieren Rabbiner Chaim Barkahn aus Düsseldorf und Rabbiner Yitzhak Mendel Wagner aus Krefeld. Die beiden Männer reisten vergangene Woche frühmorgens nach Ingelheim, um die Arbeit zu tun, für die eigentlich der Winzer zuständig ist.
Aufsicht Unter der Aufsicht von Barkahn wurde der Wein geerntet und der Most in die Tanks gefüllt. Rat für die koschere Weinproduktion holte sich der Rabbiner von einem Kollegen, der für die Nachhilfestunden eigens aus Israel eingeflogen wurde: Rabbiner Mordechai Bistrizky aus Safed. »Er kennt sich mit der koscheren Weinproduktion bestens aus und hat mir alles erklärt und mich mit Details vertraut gemacht«, berichtet Rabbiner Barkahn.
Winzer Rolletter sieht die Herstellung von koscherem Wein als Experiment an. »Ich habe nicht genau gewusst, worauf ich mich einlasse und nicht gedacht, dass es so aufwendig sein würde«, sagt er. Zwischendurch habe er »fast Schweißausbrüche« bekommen – etwa, als er bei seinem Händler die bestellte Hefe abholen wollte und erfuhr, dass von der zertifizierten Sorte nicht ausreichend vorhanden war.
Am Ende hat doch noch alles geklappt. Jetzt gärt der Most in den Fässern, und spätestens im Februar wird der »Nagila« ausgereift sein. Gekeltert wurden 6.000 Liter Rotwein und rund 3.000 Liter Rosé.
Für Winzer Rolletter war es eine spannende Erfahrung. Ob sich der Aufwand auch finanziell lohnen wird, weiß er noch nicht. Die Preise pro Flasche werden zwischen 3,50 und 13 Euro liegen, je nach Sorte und Flaschengröße. Dass er mit »Nagila« keine großen Gewinne machen wird, ist dem Winzer bewusst: »Koscherer Wein aus Deutschland wird wohl eine Nische bleiben.«