von Frank Scheerer
Die Außenfassade der altehrwürdigen Talmud-Tora-Schule in Hamburg ist sandgestrahlt und glänzt fast wie das Hamburger Rathaus. Der Eingang wird etwas gewollt vom alten Brunnen flankiert. Er stand früher im Hinterhof. Historismus pur, das »Architektenbüro nhm« zeichnet verantwortlich. Die Bauleute sollten die natürliche Substanz des Gebäudes erhalten und einen Rückbau Richtung Jugendstil 1911 vornehmen. Die Sanierung der etwa 3.000 Quadratmeter ausgebauten Fläche hat bisher rund zweieinhalb Millionen Euro gekostet. Noch wird am Haus gearbeitet, zur Einweihung am 10. Juni soll alles fertig sein. Im Hof sind Lieferwagen mit Elektronik vorgefahren. Schon die Eingangsschleuse verrät hohe Sicherheitsmaßstäbe. Für sie trägt das Landeskriminalamt die Verantwortung. Kameras registrieren jede Bewegung.
Im Erdgeschoss ist der nüchterne Verwaltungstrakt zu finden. An der Tür für die Buchhaltung befinden sich noch Schilder der Professoren der Universitätswissenschaften, die hier früher ihr Büro hatten.
»Es sollen noch diverse Erinnerungstafeln angebracht werden zur Historie, zum Gedenken an die Ermordeten und für die Stifter«, erklärt der Pressesprecher der Gemeinde, Daniel Killy. Besonders hingewiesen wird sicherlich auf die Lauder-Foundation, die die Schule wesentlich unterstützt hat.
Bereits seit März dieses Jahres, als Landesrabbiner Dov Levy Barsilay die Räume am Grindelhof weihte und die Mesusot anbrachte, ist die Jüdische Gemeinde zu Hamburg in der Topografie der Stadt räumlich neu positioniert. Man knüpft an große Traditionen an und ist nun sichtbar am Rande des Universitätscampus, mitten im quirligen Grindelviertel, plötzlich in den Mittelpunkt gerückt.
Über die Bedeutung der Talmud-Tora-Schule und ihre Geschichte ist viel geschrieben worden. Zuletzt hatte sich die kürzlich verstorbene Ursula Randt mit ihr befasst. 1944 mussten sich in der Schulaula die Hamburger Juden zur Deportation einfinden. Nach 65 Jahren wird ein neues Kapitel aufgeschlagen. Mit dem jetzigen Einzug der Gemeinde und der Schule zum nächsten Schuljahr wird auch Joseph Carlebach gewürdigt, der zwischen 1921 und 1925 als Rektor der Schule mit reformpädagogischen Ansätzen wirkte und später als Oberrabbiner von Hamburg mit seiner Ehefrau, drei Töchtern und seiner Gemeinde in die Deportation und den Tod ging. Märtyrer ganz anderer Art hatte die Schule im Ersten Weltkrieg, als sich mehr als hundert Schüler und auch etliche Lehrer an die Front meldeten und Gelder für Kriegsanleihen gezeichnet wurden, getreu dem Sinnspruch des damaligen Direktors der Schule, Joseph Goldschmidt: »Werdet tüchtige Juden, tüchtige Deutsche, tüchtige Hamburger. Das walte Gott!« In den 30er-Jahren sollen sich auch äthiopische Juden an der Talmud-Tora-Schule aufgehalten haben, besagt eine andere Historie.
Die Bibliothekswissenschaftler, die jahrelang die Schule nutzten, hatten Anfang der 90er-Jahre eine kleine Broschüre vorgelegt. Darin heißt es, dass die alte Lehranstalt in den 70er-Jahren abgerissen werden und einem Neubau weichen sollte.
Das Haus wurde nicht abgerissen, stattdessen präsentiert sich das Gebäude heute weniger als Schule denn als Sitz der Gemeinde. Verwaltungsräume und das Büro des Rabbiners sind im Erdgeschoss. Im Keller sind die Küchen für Milchiges und Fleischiges untergebracht. Silbermetallene Herde und Ablufthauben sowie riesige Türen der Kühllager erinnern an Hotelküchen. Direkt daneben befindet sich der Kindergarten. Seine Leiterin Judith Jacobius verkündet stolz: »Wir haben fünf Kitamitarbeiterinnen!«
Die Schule kommt in den ersten Stock. Im geplanten Unterrichtsraum stehen Tische und Stühle zum Teil mit Plastik überzogen und warten auf die Erstklässler. Der Schulbetrieb ab August wird die Gemeinde etwa 250.000 Euro im Jahr kosten. Ein Stockwerk darüber wird wieder eine Bibliothek eingerichtet. Die abgehängten Decken verbergen noch den Jugendstilstuck alter Tage. Im Souterrain zum Hof befindet sich die Aula. Noch ist sie leer und wirkt ohne Bestuhlung etwas kahl. Nur die Lautsprecher und die Lichtinstallation hängen von der Decke. Doch das soll sich bald ändern.
Die Gemeinde möchte in diesem Gebäude gern auch mit kulturellen Veranstaltungen und Buchpräsentationen auf sich aufmerksam machen. Behinderte Besucher werden es jedoch schwer haben, daran teilzunehmen. Es fehlen Rampen für Rollstühle.
Trotzdem wird mit der Verleihung der Herbert-Weichmann-Medaille für Verdienste um das jüdische Leben in Deutschland am Sonntag das Haus eröffnet. Erste Preisträger sind Hermann-Hinrich Reemtsma sowie posthum Paul Spiegel sel. A. Die Laudatio auf Paul Spiegel hält der Schauspieler Uwe Friedrichsen, ein enger Freund des vor gut einem Jahr Verstorbenen. Gisèlle Spiegel, Witwe des Zentralratspräsidenten, wird die Medaille entgegennehmen. Reemtsma, dessen Stiftung mit ihrer Spende von 500.000 Euro den Umzug der jüdischen Gemeinde in ihr neues Gemeindezentrum erst möglich machte, wird von Andreas C. Wankum, Vorsitzender der Hamburger Gemeinde, gewürdigt.
Ab 15 Uhr können sich dann die Hamburger im »Open House« umsehen.