von Tobias Kühn
und Heide Sobotka
Die Gemüter sind erhitzt. Der Vorstoß von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, eine einheitliche Schulkleidung einzuführen, hat eine alte Debatte neu entfacht: Sind Schuluniformen ein geeignetes Mittel gegen die wachsende religiöse und soziale Diskriminierung unter Schülern?
Wegen seiner Religion wird an einer jüdischen Schule niemand ausgegrenzt, doch Sozialmobbing durch das Tragen von Markenware ist den Schülern auch dort nicht fremd. Ob eine einheitliche Schulkleidung helfen kann, diese Art von Abwertung ärmerer Schüler zu unterbinden, bezweifeln zahlreiche Schulleiter und Elternsprecher. Andere sind ausnahmslos für die Einführung einer Schuluniform.
Antonia Ungar, Leiterin der Sinai-Grundschule in München nimmt sich England und Israel zum Vorbild. »Dort werden Uniformen getragen, warum sollte das hier nicht sein?«, fragt sie. »Bei den Kindern sind Kleidung und Markenklamotten sehr ausschlaggebend. Die einen tragen teuerste Designerjeans, die anderen Jeans vom Supermarkt.« So werde ein Status zur Schau getragen, der den unterschiedlichen finanziellen Backround der Kinder unzulässig zur Schau stelle.
Der Elternbeirat sei da auf ihrer Seite, sagt Ungar. Dessen Sprecher wolle sogar schon erste Möglichkeiten mit einem befreundeten Textilunternehmer überdenken, wie man die Ausstattung mit Schuluniformen so preiswert wie möglich gestalten könnte. Die Schulleiterin will auch Gemeindepräsidentin Charlotte Knobloch für die Idee gewinnen und hofft, bereits für das nächste Schuljahr Uniformen anschaffen zu können. »Wenn wir dann ins neue Schulgebäude an den Jakobsplatz umziehen, sollte das alles schon eingeführt sein.«
Außerhalb der Schule sind für Ungar Uniformen jedoch tabu. »Ich bin auch gegen jeden sichtbaren Schriftzug, gerade weil es jüdische Kinder sind.« So versuchten die Lehrer auch bei Klassenausflügen zu verhindern, daß man sie als jüdische Schule erkennt. »Unterwegs dürfen die Kinder auch keine Käppchen tragen, aus Sicherheitsgründen«, sagt Ungar.
Anders als in München hält man an der Lauder-Morijah-Grundschule in Köln eine reine Schuluniform nicht für nötig. »Dafür ist unsere Schule zu klein«, sagt Leiterin Dagmar Höhnen. »Ich denke, zu solchen Ausschreitungen wie jüngst in Berlin wird es hier auch nicht kommen.« Dennoch gebe es eine Kleiderordnung für jüdische Feiertage. Die Mädchen tragen dann weiße Oberteile, die Jungen graue oder blaue. »Daran halten sich die Kinder auch im allgemeinen«, sagt Höhnen.
Grundsätzlich könne jedoch eine Schuluniform die pädagogische Erziehung nicht ersetzen. Man beseitige damit das Problem nur an der Oberfläche. »Wenn ich den sozialen Stand auf ein gleiches Maß bringen möchte, schaffe ich das nicht allein mit einer Schuluniform, das bekomme ich nur im Bewußtsein der Kinder und der Eltern geändert.« Bei Ausflügen fordert Höhnen die Jungen auf, ihre Kippa nicht zu tragen. »Man muß es nicht unbedingt provozieren!«, sagt sie.
Alexa Brum, Leiterin der Lichtigfeld-Schule in Frankfurt am Main, ist strikt gegen Schuluniformen. »Wir haben in Deutschland keine Tradition in dieser Hinsicht, und als Regelung von oben würde ich mich weigern«, sagt sie. Man könne die Kleidung natürlich nicht ins Belieben der Kinder stellen. Bauchfreie Tops, Minirökke, die die Pobacken hervorlugen lassen, seien jenseits der Scham- und Anstandsgrenze. Gemeinsam mit den Eltern wolle sie eine Art lose, aber dennoch verbindliche Richtlinie für eine Kleiderordnung erarbeiten. Jetzt nach Schuluniformen zu rufen, empfindet Brum als Ausdruck von Hilflosigkeit. Man könne die pädagogische Arbeit nicht umgehen, indem man Schuluniformen fordert. »Wir brauchen eine ganz intensive Sozialerziehung. Wenn Designerklamotten benutzt werden, um andere Kinder auszuschließen, müssen wir dieses Thema aufgreifen und intervenieren.« Jeder Ansatz von Mobbing müsse unterbunden werden. »Das muß bis ins Ordnungsrecht gehen«, betont Brum. »Dann gibt es eine schriftliche Mißbilligung, die kommt in die Schülerakte. Das machen die zweimal, dann passiert das nicht mehr.«
Brums Ansatz geht über das formale Kriterium hinaus. »Wenn wir die pubertierenden Mädchen in die gleichen Sweatshirts stecken, gibt es wieder andere Ausschlußkriterien. Die kleinen zierlichen Mädchen werden darin entzückend aussehen, die etwas runderen sehen aus wie Tonnen.« Für die Geschmacksbildung sei Individualität notwendig. »Die Kinder wollen doch Diversität leben und ihre Unterschiedlichkeit schätzen und lernen, damit tolerant umzugehen.«
Ronit Vered, Leiterin der Heinz-Galinski-Schule in Berlin bringt ähnliche Gründe gegen die Einführung einer Schuluniform vor. »Sie schränkt den Schüler ein, seine Persönlichkeit zu entfalten.« Vered befürchtet sogar, daß nach einer langen Schulzeit in immer derselben Schulkleidung eine eigene Geschmacksausbildung unterdrückt werden könnte. »Dann gibt der Schüler einen Teil seiner Persönlichkeit auf.«
Daß die Schule der Geschmacksbildung der Kinder nicht im Wege stehen darf, fordert auch Heide Forster, Leiterin der Düsseldorfer Yitzhak-Rabin-Schule. »Die Mädchen und Jungen verbringen den ganzen Tag hier, von Montag bis Freitag. Wann können sie sich denn dann mal anders anziehen und sich erproben, wenn sie eine Schuluniform tragen müßten?« Es sei doch lehrreich für Kinder, zu sehen, wie andere sich kleiden. »Wie nehmen mich die anderen in dem komischen Rock wahr, den ich unbedingt anziehen wollte und von dem auch Mama sagt, der ist nicht schön?«
Heide Forster ist dankbar, ihre Schüler nicht in Uniform sehen zu müssen. »160 Kinder in blauen Röcken oder Hosen, weiße T-Shirts, jeden Tag? Wie langweilig! Gräßlich!« Dann müßten eigentlich auch die Lehrer in Uniform kommen, sagt sie und lacht. »Ich kann das doch nicht von den Kindern verlangen, wenn ich es nicht vorlebe. Und was wäre, wenn ein Schüler mal vergißt, seine Schuluniform anzuziehen? Was soll ich da tun? Soll ich sagen, du kriegst Schulverbot?«
Markenfetischismus kennt Forster bei ihren Schülern nicht. »Natürlich gibt es bei den Mädchen in der 4. Klasse etwas Konkurrenzkampf – wer ist hübscher – aber es geht dabei nicht um Markenartikel, sondern eher um Stilfragen.« Die Kinder reden darüber, daß das eine Kleid mehr Rüschchen hat als das andere oder tiefer rosa ist. Aber das Problem, daß die Kleidung dazu benutzt würde, soziale Unterschiede hervorzuheben, habe sie an ihrer Schule nicht, sagt sie. »Diejenigen, die wirklich viel Geld haben, zeigen es sowieso nie.« Und wenn einige Kinder dieses ›Ich hab das, du hast das nicht‹-Spiel untereinander wollten, sagt Forster, dann erreichen sie es auch durch andere Attribute wie Handys, Uhren, Schmuck, Gameboys und andere elektronische Spiele. Oder zum Beispiel auch dadurch, wie sie Geburtstage feiern.
Doch hier seien auch die Väter und Mütter gefragt, fordert die Gesamtelternsprecherin der Berliner Heinz-Galinski-Schule, Michal Gelerman. »Die Eltern müssen mit ihren Kindern diskutieren, ihnen erklären, daß es nicht immer nur das Beste vom Besten sein muß.«
Auch bei der Erziehung älterer Schüler sei eine Uniformierung eher kontraproduktiv, sagt Barbara Witting von der Jüdischen Oberschule in Berlin. Zur Persönlichkeitsentwicklung gehöre eben auch, wie man sich kleidet, sagt die Leiterin des bislang einzigen jüdischen Gymnasiums in Deutschland. »Eine Schuluniform erinnert mich an die Braunhemden bei den Nazis und an die FDJ in der DDR. Sie hinterläßt bei mir den schalen Beigeschmack der Gleichmacherei.«