von Holger Elfes
So entstehen Geschichten. Als Marcelo Birmajer in einem Düsseldorfer Kino seine dicke graue Stoffmütze unter dem Sitz sucht und dabei die Limonadenflasche seines Nachbarn umwirft – zufällig der Lebensgefährte der hochschwangeren Kuratorin der Filmreihe »Jüdische Welten«– , ist das für den argentinischen Autor gleich die Inspiration für eine neue Story: »Wer daraus nichts machen kann, der sollte kein Schriftsteller werden.«
Birmajer ist im überraschend winterkalten Düsseldorf, um den argentinischen Film El Abrazo partido von Daniel Burman vorzustellen, für den er das Drehbuch geschrieben hat. Der auf der Berlinale 2004 mit dem silbernen Bären ausgezeichnete Streifen erzählt die Geschichte von Ariel, einen jungen Mann, der sich im jüdischen Viertel von Buenos Aires durchs Leben schlägt, von der Auswanderung nach Europa träumt und versucht, die eigene Familiengeschichte samt eines spurlos nach Israel entschwundenen Vaters zu verstehen. Mit viel Humor kommt der Film daher, obwohl er eigentlich tragisch ist. »Ich schreibe über den Tod und die Liebe«, sagt Birmajer »und über den Unterschied zwischen beiden.«
In seiner Heimat gilt der Autor zahlreicher, zum Teil preisgekrönter, Kinderbücher, Drehbücher und Erzählungen als literarischer Shooting-Star. Auf Deutsch sind bisher zwei seiner Bücher erschienen. Vor vier Jahren kam bei Piper Geschichten von verheirateten Männern heraus, eine Sammlung von Kurzgeschichten, in denen es – der Titel läßt es ahnen – vor allem um Ehe und Untreue meist jüdischer Männer geht. Die Stories erzählen bissig und mit schwarzem Humor von schwierigen Liebeskonstellationen. »Wären alle Menschen auf der Welt glücklich, gäbe es keine Literatur«, schreibt der 39jährige dreifache Vater in einer der Geschichten.
Um Politik, Judentum und Frauen geht es auch in Das argentinische Trio, einem vor zwei Jahren bei Beck erschienenen Roman. Wie El Abrazo partido spielt das Buch im ehemals jüdischen, heute multikulturell geprägten Stadtviertel Once in Buenos Aires. Juden, Peruaner und Koreaner leben dort und kommen vor in der Geschichte um den Journalisten Javier Mossen der den geheimnisvollen Israel-Rück- kehrer Elias Traúm interviewen soll und dabei auf dunkle Geheimnisse aus der Militärdiktatur der siebziger Jahre und der linken Guerilla stößt.
Die Kritik in Deutschland ließ kaum ein gutes Haar an dem Werk, nannte es hanebüchen und öde. Birmajer schmerzt das. Ihm ist die Wirkung seiner Bücher wichtig. Man könnte auch sagen, er ist eitel. Kaum angekommen zu seinem ersten Deutschland-Besuch in Düsseldorf, geht er in die Buchläden, um zu sehen, ob dort etwas von ihm in den Regalen steht und fängt an, mit den Verkäuferinnen zu diskutieren, als er feststellt, daß dies nicht der Fall ist.
Ins Portugiesische, Niederländische, Italienische, Französische und Koreanische sind Birmajers Bücher übersetzt worden. Jetzt wird mit Das argentinische Trio erstmals eines seiner Werke ins Hebräische übertragen. »Das ist eine Riesenfreude für mich«, sagt der Autor. Israel ist für ihn ein wichtiges Stück der eigenen Identität. »Ich akzeptiere und respektiere alle Strömungen des Judentums«, erklärt er, »unter zwei Bedingungen: Man darf sich nicht selbst hassen und man darf die Existenz Israels nicht in Frage stellen.«
Beim Thema Israel scheut Birmajer auch nicht den Dissens mit seinen Mitstreitern auf der argentinischen Linken. Der Autor ist ein geschworener Gegner von konservativen Politikern, Nationalisten, Rassisten und Antisemiten im eigenen Land. Linkssein heißt für ihn aber nicht, seine Wurzeln zu verleugnen. »Ich halte Juden nicht für etwas Besseres oder Schlechteres«, sagt er, »aber für mich ist die Beschäftigung mit dem Judentum zentral für mein Leben.« Ein religiöser Mensch ist Birmajer dabei ganz und gar nicht. Für ihn zählen die kulturellen und traditionellen Bindungen zu seiner Gemeinschaft, die, wie er berichtet, während der Militärdiktatur 1976 bis 1983 vergleichsweise mehr Opfer zu beklagen hatte als andere Bevölkerungsgruppen. Unvergessen auch der tödliche Terroranschlag 1994 auf das Gemeindezentrum von Buenos Aires, dessen Hintergründe nie aufgeklärt wurden.
Die aktuelle Entwicklung in Argentinien sieht Birmajer mit Skepsis. Die Jugend verliere ihre Werte, laufe stattdessen irgendwelchen Zeitströmungen hinterher: »Ich verstehe nicht, wie man aus Modegründen Che Guevara T-Shirts tragen kann.« Aber dann fällt ihm doch etwas dazu ein: »Lebe schnell, sterbe jung und hinterlasse eine schöne Leiche.« Vielleicht wird daraus ja einmal der Titel einer neuen Erzählung.