von Thomas Lackmann
Eduard Arnold sammelt sich morgendlich zur Andacht vor seinen Gemälden, um für den Berliner Geschäftsstreß aufzutanken.
Eduard Müller und seine Frau, Dresdner Kokoschka-Sammler, erleben noch, daß ihre Zwillinge nach Südamerika auswandern; sie selbst sterben in Auschwitz und Theresienstadt. James Simon, den Neider einen »Kaiserjuden« nennen, leiht sich –wenn sein jährlicher Kunstetat ausgeschöpft ist – Geld aus der Kasse seines Baumwollhandels, oder er nimmt Kredit auf. Rudolf Mosse, der bis 1913 25 Millionen Reichsmark in sozialen Projekten anlegte, ruft ein Rabbiner nach, der Berliner Verleger habe »seinen Glauben durch Werke der Barmherzigkeit« bekannt. Ismael Littmann, Breslauer Wirtschaftsjurist, sammelt bis 1930 334 Gemälde. Von den NS-Behörden wegen fiktiver Steuerschulden beschlagnahmt, beschert seine Sammlung dem Stadtmuseum den größten Zuwachs seiner Geschichte. Der Berliner Industrielle Ludwig Darmstädter schenkt seine Autographen-Sammlung der Staatsbibliothek. Er besucht seine Bestände, zuletzt 190.000 Stücke von 45.000 Berühmtheiten, bis ins hohe Alter täglich, um nach dem Rechten zu sehen. Eine Rothschild-Erbin gründet eine Freiherr Carl von Rothschild Bibliothek, die 1927 an die Frankfurter Stadtbibliothek fällt und 1933 um- benannt wird. Ein Rothschild-Baron schenkt seine Judaica-Sammlung der Stadtbibliothek; 1933 wird sie dem »Institut zur Erforschung der Judenfrage« unterstellt. Beide Sammlungen bilden den Grundstock für Sondersammelgebiete der heutigen Universitätsbibliothek.
Es gehe um die Revision einer damnatio memoriae, sagt am Montag zu Beginn des Berliner Symposiums Sammeln – Stiften–Fördern. Jüdische Mäzene in der deutschen Gesellschaft Hermann Schäfer vom Bundeskulturministerium. Damnatio memoriae: So hieß die im alten Rom praktizierte Eliminierung Mißliebiger aus der Überlieferung. Der Anteil jüdischer Mäzene in Deutschland war überproportional gewesen. Bis zum Sommer 1939 waren ihre Namen alle von den NS-Behörden getilgt worden. Auch das habe zur Vernichtung der Juden gehört, sagt der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Klaus-Dieter Lehmann, und begrüßt, daß just am Tag des Symposiums James Simon, einst Berlins größter Philantrop und Mäzen, durch die Gründung eines nach ihm benannten Kreises geehrt wird. Alle zwei Jahre soll ein sozial und kulturell aktiver Wohltäter mit dem James-Simon-Preis ausgezeichnet werden.
Das Zauberwort des Tages im Berliner Kunstgewerbemuseum heißt »Zivilgesellschaft«. Als deren frühe Protagonisten werden Juden porträtiert, die durch Sammlungen ihre Kulturstädte erblühen ließen, ein »offenes Haus« für Künstler führten, Kranken- und Waisenhäuser gründeten, Forschungs- und Bildungsinstitute beschenkten. Das habe dem Assimilationsprozeß genützt, sagt Annette Weber (Heidelberg). Der »Bildungsidealismus« der jüdischen Mäzene habe auch der Selbstbehauptung gedient. Gerade jüdischen Sammlern sei es zudem um den Verständniskontext gegangen: Das Gesamtkompendium sei ihnen wichtig gewesen, der eigene Kosmos. Elisabeth Kraus (München) erkennt im säkularisierten Gerechtigkeitsgebot der Zedaka den stärksten Antrieb. Dazu gehörte, neben der Armenfür- sorge, die Förderung von Talenten.
Die Präsentation von Musterbürgern engt den Erkenntnishorizont aber ein. Daß dabei als »jüdische Mäzene« auch Getaufte gelten, bleibt unreflektiert; der Vergleich zwischen »jüdischen« und »nichtjüdischen« Stiftern entfällt, weil das Verhal- ten letzterer bislang unerforscht blieb. Auch daß selbstlose und eigennützig politische Interessen einander oft berühren, hätte sich pointiert zeigen lassen: an der Familie Mendelssohn, die Deutschland über vier Generationen mit sozialen, wissenschaftlichen, kulturellen Stiftungen beschenkt hat.
Die Provokation des Tages übernimmt der Bochumer Historiker Constantin Goschler. Während zur gleichen Zeit im Kanzleramt Kulturstaatsminister Neumann und Georg Heuberger von der Jewish Claims Conference übereinkommen, die Restitutions-Handreichung von 2001 »mit Blick auf ihre friedensstiftende Wirkung und Praktikabilität« zu überprüfen, »Provenienzrecherche« und »Transparenz« zu stärken, sagt Goschler: Heutzutage benutze man gern jüdische Mäzene von einst, um neue Citoyens zu mobilisieren: »Die Juden sind unser Vorbild. Gehet hin und spendet, tut etwas für die Kultur!« Zugleich erwarte man von Restitutionsempfängern, daß sie sich »als Mäzene und nicht etwa als Marktteilnehmer verhalten«. Die Zivilgesellschafts-Debatte verlaufe zwiespältig. Nach 1945 sei unter alliiertem Druck restituiert worden, gegen die Stimmung der Bevölkerung. Die zweite Restitutionsphase ab 1990 habe Westdeutschland den Ostdeutschen aufgenötigt und damit demonstriert: »So zivil sind wir geworden.« Nun zeigten sich Risse in der Selbstzufriedenheit, man verfalle in »hektische Nervosität«. Die Juden gerieten »in den Verdacht, vaterlandslose Gesellen zu sein. Will man den Kunstmarkt kritisieren oder die Juden?« Deren »Ausschluß aus der Zivilgesellschaft« sei vormals durch die Paarung »Jude« und »Geld« begründet worden: Das werde gerade aktualisiert.
Thomas Lackmann ist Autor des Berliner Tagesspiegel.