von Wladimir Struminski
Die Iran-Krise folgt der Struktur eines Action-Films: Es gibt ein Schreckensszenario, einen Hoffnungsschimmer und die bis zuletzt ungelöste Frage, wie die Sache wohl ausgehen wird. So sieht Eldad Pardo, ein führender israelischer Iranexperte, die Konfrontation zwischen dem Westen und dem Mullah-Regime. Ausgangspunkt des Dramas, so Pardo, Iran- und Strategieexperte am Truman-Institut für Friedensforschung der Hebräischen Universität in Jerusalem, ist die iranische Entschlossenheit, sich Atomwaffen zu verschaffen. Aus Teheraner Sicht ist ein nukleares Arsenal die einzige Möglichkeit, den erträumten Status einer Großmacht zu erlangen. Die Mitgliedschaft im Atomklub wird aus der Sicht der iranischen Führung auch einen militärischen Ausgleich für die ökonomische Schwäche des Landes bieten. Die Folgen wären nicht nur für Israel, sondern für den gesamten Westen unabsehbar. Die Unterordnung des Westens unter iranische Hegemonie steht nämlich hoch auf der Wunschliste der Teheraner Regierung. Die religiöse Prägung und die irrationale, ja mystische Komponente der iranischen Politik erhöhen die Gefahr.
Teherans Idealziel ist die Ablösung der USA durch den Iran in der Rolle der führenden Weltmacht. Bis der lange Arm der Mullahs die Vereinigten Staaten erreichen kann, bekommt aber, so Pardo, das näher gelegene Europa den islamistischen Ansturm zu spüren. Es sei nicht einmal auszuschließen, dass Europa eines Tages zum Ziel iranischer Atomsprengköpfe werden könnte. Auf die iranische Angst vor verheerender Vergeltung könne nicht in demselben Maße gebaut werden, wie es seinerzeit bei der Sowjetunion der Fall war. »So wie der Flügelschlag eines Schmetterlings nach der Chaostheorie einen Orkan auslösen kann«, mahnt der Irankenner, »so lässt sich auch die Politik eines atomar gerüsteten Irans schwer berechnen. Dennoch wird die vom Iran ausgehende Gefahr in Europa unterschätzt.«
Grund zur Sorge haben aber nicht nur Westeuropäer. Russland, das sich gegenwärtig schützend vor das Teheraner Atomprogramm stellt, muss einen atomar gerüsteten Iran ebenfalls fürchten. Bei den gegenwärtigen demografischen Trends könnte die Islamische Republik bei der Bevölkerungszahl bereits in vier Jahrzehnten mit der Russischen Föderation gleichziehen. Damit hätte Moskau gleich vor seiner Haustür einen ernst zu nehmenden Rivalen, der nach der Macht in den ex-sowjetischen moslemischen Republiken greifen und für Aufruhr unter der moslemi- schen Minderheit in Russland selbst sorgen könnte. Auch Chinas boomende, auf Energieimporte aus Nahost angewiesene Wirtschaft kann die geopolitischen Risiken eines atomaren Irans nicht gebrauchen.
Deshalb läge die Verhinderung der iranischen Bombe im gemeinsamen Interesse der großen Wirtschafts- und Militärmächte der Welt. Die wirtschaftliche Schwäche des Irans, die das Atomprogramm übertünchen soll, bietet nach Pardos Meinung einen Ansatzpunkt für die unblutige Erzwingung eines iranischen Nuklearstopps: »Scharfe Wirtschaftssanktionen würden den Fortbestand des iranischen Regimes bedrohen. Um ihre Macht nicht zu gefährden, wäre die iranische Führung zur Einstellung des Atomprogramms gezwungen.« Die Angst europäischer Politiker vor ökonomischen Einbußen im Irangeschäft hält Pardo für unbegründet: »Ganz im Gegenteil. Wenn der Iran wieder Anschluss an den Westen findet, blüht seine Wirtschaft auf und kann sich viel mehr leisten.« Das bedeutet: mehr Aufträge und mehr Arbeitsplätze für Europas Wirtschaft.
Die große Frage lautet, ob die Staatengemeinschaft diese Logik in eine konsequente Sanktionspolitik umsetzen wird. Das, räumt Pardo ein, ist keineswegs sicher. »Möglicherweise hoffen einzelne Akteure, dass jemand anders die Arbeit übernimmt und sie selbst einer Konfrontation mit dem Iran aus dem Weg gehen können. In der Spieltheorie ist diese Variante bekannt.« Praktisches Beispiel: Wenn die USA oder Israel das iranische Atomprogramm durch einen Militärschlag ausschalten, halten sich die Europäer fein heraus und machen dennoch einen Schnitt. Freilich: Wenn der Iran durch solches Taktieren der internationalen Politik ans atomare Ziel kommt, haben alle Taktierer verloren. In der Spieltheorie ist auch diese Variante bekannt.