von Rabbiner Joel Berger
Unser Wochenabschnitt befasst sich mit Korbanot, verschiedenen Arten von Tempelopfern. Unter jenen Korbanot, die die Tora für den Bet Hamikdasch vorgeschrieben hatte, kam dem Sewach Schelamim, dem Friedensopfer (3. Buch Moses 7,11-16) ein besonderes Gewicht zu. Die klassische Einstellung unserer Gelehrter gewinnt in einer von Unfrieden geprägten Zeit noch mehr an Bedeutung. Naftali Herz Weisel führt in seinem Biur aus: »Das Friedensopfer wird durch den Überfluss der Freude motiviert, durch den Sinn für Dankbarkeit G’tt gegenüber, weil Er uns Wohlergehen schenkte. Wenn wir G’tt für Seine Güte danken, ziehen wir die g’ttliche Gnade auf uns herab, und es geht uns gut.«
Die Tora kennt drei Arten von Friedensopfern: »Toda« ist das Dankopfer. »Neder« ist ein Gelübde als Opfer, indem wir geloben, für die Hilfe G’ttes von uns aus mit einer gerechten Handlung zu antworten. Das dritte der genannten Friedensopfer heißt »Nedawa« und bedeutet eine freiwillige Gabe für gemeinschaftliche Zwecke und Einrichtungen.
Raschi, der volkstümliche Kommentator, führt einige Ereignisse aus, die den Menschen zu Dank gegenüber ihrem Schöpfer verpflichten sollten: »Der Dank für ein Wunder, das an uns vollbracht wurde. Dies bezieht sich auf jene, die zum Beispiel auf hoher See in Lebensgefahr gerieten, während einer Reise durch eine öde Wüste eine Rettung erfuhren oder aber von einer Krankheit geheilt wurden.« Von all denen wird der Dank erwartet im Sinne des Psalmverses (Psalm 107,21): »Danken sollen sie dem Ewigen für all seine Gnade, für die Wunder, die Er den Menschenkindern getan.«
Tempelopfer bringen wir zwar schon seit beinahe zweitausend Jahren nicht mehr dar. Doch die Bereitschaft, dem Schöpfer im Gebet, an Stelle der Opfer, zu danken, darf nicht untergehen. Gerade in einer hochtechnisierten Welt, voller automatischer Handlungen, sollte durch den Dank bezeugt werden, dass es einen alles gewährenden all- mächtigen G’tt gibt.
In diesem Wochenabschnitt lernen wir – inmitten der Tempelopfervorschriften (3. Buch Moses 7,26) auch: »Ihr sollt kein Blut essen an allen euren Wohnorten weder vom Geflügel, noch vom Vieh.« Es ist nicht das erste Mal, dass die Tora den Blutgenuss verbietet. Sie tat es bereits in der Erzählung der Sintflut, bei Noach. Dort wird es damit begründet, dass das Blut wie die Seele eines Lebewesens sei. Selbst die Eier des Geflügels müssen einzeln aufgeschlagen werden, weil es auch hier vorkommen kann, dass sich darin ein Blutstropfen verbirgt. Solche Eier darf die koschere Küche nicht verwenden.
Viele Kommentatoren der Tora haben sich zu dieser Frage geäußert. Die meisten sind sich darin einig, dass der Mensch durch Blutgenuss sein Wesen für Grausamkeiten zugänglich machen oder sogar animalische Instinkte in sich wecken und nähren könnte. Andere wiederum fürchten, dass man dann die wilde Hemmungslosigkeit in sich nicht so leicht bändigen könnte und die tierische Seele oder Gesinnung über den Menschen Macht gewinnen würde.
Die rituelle Speisegesetzgebung unseres Volkes fußt auf diesen Aussagen der Schrift und ihrer Kommentatoren. Jedoch verlangte die jüdische Gesetzgebung von ihren Anhängern niemals, dem Fleischgenuss vollkommen zu entsagen und Vegetarier zu werden. Dies hätte als Extremismus oder Askese gegolten, und das ist einem Juden fremd.
Es gibt aber im Laufe eines jüdischen Jahres Tage und Wochen, an denen man kein Fleisch isst. So enthält sich der Trauernde nach dem Tode eines nächsten Angehörigen zunächst des Fleischgenusses. Traditionsbewusste Juden tun dies auch wäh- rend der drei Trauerwochen vor dem Tischa Be’Aw, in denen man der Belagerung und Zerstörung Jerusalems und seines Bet Hamikdasch, des Heiligtums, gedenkt. Aus einem völlig anderen Grund isst man am Vorabend des Schawuot-Festes nur milchige Speisen: Der Volksglaube meint zu wissen, dass unsere Vorfahren bei der Offenbarung am Berge Sinai, als sie die Tora und auch die Speisegesetze erhielten, noch nicht kundig und erfahren genug waren, koscheres Fleisch zuzubereiten. Daher wich man auf Milchspeisen aus. Aus Gründen des Respekts gegenüber den Ahnen nimmt man am ersten Abend des Schawuotfestes bis heute nur milchige Speisen zu sich.
Die biblische Gesetzgebung kannte noch den Nasir. Er hatte ein Gelübde ablegt, eine begrenzte Zeit lang dem Fleisch- und Alkoholgenuss zu entsagen. Die Nasiräer blieben aber die Ausnahme. Die Mehrheit unseres Volkes ist, was den Verzehr von Fleisch betrifft, weniger enthaltsam. Jedoch muss das geschächtete Fleisch noch »koscher gemacht« werden. Das heißt, man muss sich bemühen, durch ein Wasserbad und das Salzen der Fleischstücke alles Blut aus dem Gewebe zu entfernen.
Der Autor war von 1981 bis 2002 Landesrabbiner von Württemberg.