von Martin Geist
Für Inna Shames war der vergangene Sonntag »ein ganz bedeutender Tag«. Unmittelbar am Schrevenpark, der vornehmsten und gepflegtesten Grünanlage in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt, ist ihre Gemeinde in ihre neue Synagoge eingezogen. Ein Ortswechsel, der Inna Shames schon von der räumlichen Symbolik her glücklich stimmt. Musste die Gemeinde bisher mit provisorischen und auf Dauer zunehmend beengten Räumen »in der zweiten Reihe« vorliebnehmen, so ist sie jetzt mitten in Kiel angekommen.
Wieder angekommen: Nur wenige hundert Meter vom jetzigen Standort entfernt befand sich die ursprüngliche Kieler Synagoge, bis sie am 9. November 1938 von den Nazis zerstört wurde. Danach schien es bis weit übers Kriegsende hinaus, als sei jegliches jüdische Leben in Kiel erloschen. Zumindest, was dessen öffentlich wahrnehmbare Seite betrifft, hätte nicht der Zusammenbruch der ehemaligen Sowjetunion viele Zuwanderer jüdischen Glaubens an die Förde gebracht.
Inna Shames ist eine von ihnen. Geboren in Usbekistan und in einem gläubigen Elternhaus aufgewachsen, mochte sie auch in ihrer neuen norddeutschen Heimat auf Dauer nicht ohne eine religiöse Gemeinschaft leben und schloss sich im April 2004 der frisch gegründeten Jüdischen Gemeinde Kiel an. Damals versammelten sich höchstens sieben bis acht Getreue zum Gebet, heute sind es bis zu 100.
Ein Aufschwung, der sich nicht einfach mit dem weiteren Zuzug von Juden erklären lässt, denn auch im Norden der Republik ist die Einwanderungswelle längst abgeebbt. Die jüdischen Gemeinden in Schleswig-Holstein entwickeln sich deshalb nach den Worten von Landesrabbiner Walter Rothschild höchst unterschiedlich. Manche schrumpfen, manche bleiben stabil, und manche wachsen.
Wo es aufwärtsgeht, hat es wie in Kiel zumeist hausgemachte Gründe. »Wir sind offen für alle«, nennt Inna Shames den aus ihrer Sicht wichtigsten. Nicht nur, dass sich ihre Gemeinde als liberal definiert und der Union Progressiver Juden in Deutschland angehört, sie lebt diesen Anspruch auch im Alltag. Usbeken, Russen, Ukrainer, Weißrussen, Rumänen und Ungarn sind ebenso willkommen wie Deutsche, Israelis oder Engländer. Sie haben in der neuen Synagoge nicht nur mehr Raum zum Beten, sondern auch für Sprachkurse, Sozialberatung und Angebote, mit denen die Gemeinde ihren Mitgliedern Unterstützung in allen Lebenslagen gewährt.
Dass ein solch bunt gemischtes Miteinander nur mit ausgeprägtem gegenseitigen Respekt und Toleranz harmoniert, das üben in der Kieler Gemeinde schon die Jüngsten. Bis zu 60 Kinder kommen in die Gemeinde. Gemeinsame Theaterprojekte haben sich dabei als Magnet erwiesen, kaum weniger beliebt sind Bastel- und Musikangebote. »Nach der Religion fragen wir niemanden«, betont Inna Shames, die für diesen Bereich Verantwortung trägt und stolz darauf ist, dass in ihren Gruppen jüdische, christliche und islamische Kinder zusammen sind.
Immer selbstverständlicher wird auch die religiös-rituelle Fundierung der Gemeinde, die in ihrer neuen Synagoge nicht nur einen erheblich größeren Gebetsraum hat, sondern im Untergeschoss auch genügend Platz für die Jugendarbeit. Mit dem Umzug am vergangenen Sonntag hat die jüdische Gemeinde zugleich ihre frisch erworbene Torarolle ins neue Haus eingebracht. Sie stellt den wertvollsten Besitz der Gemeinde dar. Etwa 8.000 Euro für den Kauf ihrer Torarolle haben die Kieler aus Spendenmitteln aufgebracht. Zu den Geldgebern gehörten auch viele Nichtjuden.
»Wir wollen helfen, dass jüdisches Leben in Kiel wieder zu einer festen Größe wird«, begründet Karl-Heinz Zimmer, weshalb die von ihm geleitete Bürgerstiftung Kiel einen Zuschuss gewährt hat. Die stellvertretende Stadtpräsidentin Dagmar Hirdes würdigte die Rückkehr an den Schrevenpark als »historischen und zugleich bewegenden Tag«. Sie sicherte ebenfalls weitere Unterstützung zu. Schließlich sei die wiederauflebende jüdische Kultur in Kiel »eine Bereicherung für uns alle«.