Papst Benedikt XVI. war eine Schlüsselfigur des katholisch-jüdischen Dialogs in einer schwierigen Zeit. Er hat auf seine Weise vieles vorangebracht, auch wenn er nicht immer unumstritten war. Er trat kein leichtes Erbe an. Sein Vorgänger, Johannes Paul II., war in vielerlei Hinsicht bemerkenswert und verstand es, mit wichtigen Gesten und den richtigen Worten auf jüdischer Seite großes Vertrauen zu schaffen und damit eine weitere Vertiefung des Dialogs zu ermöglichen.
ISRAEL In die Zeit von Johannes Paul II. fielen auch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen des Vatikans mit Israel, eine Pilgerreise des Pontifex ins Heilige Land sowie der Aufbau einer bilateralen Kommission zwischen dem israelischen Oberrabbinat und dem Heiligen Stuhl. Benedikt XVI. nahm dieses Erbe an und führte die Linie von Johannes Paul II. weiter.
Er empfing im Vatikan und bei seinen Reisen unzählige jüdische Delegationen und besuchte immer wieder Synagogen und jüdische Gemeinden. Sein Besuch der Kölner Synagoge im August 2005 war historisch: Benedikt XVI. betrat als erster Papst überhaupt ein jüdisches Gotteshaus in Deutschland.
In seiner Ansprache dort verurteilte er den Antisemitismus scharf und kündigte für sein Pontifikat an, den Weg seines Vorgängers im christlich-jüdischen Dialog mit aller Kraft weiterzugehen. Er sagte zudem: »Schließlich sollte unser Blick nicht nur zurück in die Geschichte gehen, er sollte ebenso vorwärts auf die heutigen und morgigen Aufgaben gerichtet sein. Unser reiches gemeinsames Erbe und unsere an wachsendem Vertrauen orientierten geschwisterlichen Beziehungen verpflichten uns, gemeinsam ein noch einhelligeres Zeugnis zu geben und praktisch zusammenzuarbeiten in der Verteidigung und Förderung der Menschenrechte und der Heiligkeit des menschlichen Lebens, für die Werte der Familie, für soziale Gerechtigkeit und für Frieden in der Welt. Der Dekalog (die Zehn Gebote) ist für uns gemeinsames Erbe und gemeinsame Verpflichtung.«
Auf dieses gemeinsame Erbe und den Dekalog verwies er immer wieder, auch als er im Januar 2010 in der Großen Synagoge von Rom willkommen geheißen wurde.
Vielleicht wurde er mit seiner deutschen Vergangenheit, als ehemaliger Hitlerjunge, besonders kritisch, zu kritisch, beäugt.
Als Benedikt im September 2006 Regensburg besuchte, nahm er gern die Einladung der jüdischen Gemeinde zu einem gemeinsamen Essen an. Er besuchte auch das frühere Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau und später Israel, wo er im Mai 2009 an der Kotel stand, Kontakt mit dem Jerusalemer Oberrabbinat und Repräsentanten des Judentums aus Israel und aller Welt aufnahm und in der Jerusalemer Hoocaust-Gedenkstätte Yad Vashem für die Opfer der Schoa betete.
SCHOA Manchmal wirkte Benedikt XVI. etwas steif und kühl, fast schon distanziert. Vielleicht wurde er mit seiner deutschen Vergangenheit, als ehemaliger Hitlerjunge und Flakhelfer, besonders kritisch, zu kritisch, beäugt. Gerade beim Thema Schoa fand Benedikt XVI. aus jüdischer Sicht leider oft nicht die richtigen Worte. Bei seinem Auschwitzbesuch 2006 beispielsweise stellte er die Deutschen als von den Nationalsozialisten Verführte und Verblendete dar.
Viele Juden verstanden die Rede als einen Versuch, aus Tätern Opfer zu machen und die Geschichte des Holocaust umzudeuten, auch wenn das sicherlich nicht Benedikts Intention war.
Er war, anders als sein Vorgänger Johannes Paul II., weniger ein Mensch der großen Gesten und eindrucksvollen Bilder, sondern ein Mann des Wortes, dem immer die theologische Reflexion wichtig war. Vielleicht war sie manchmal tatsächlich etwas zu tief und zu theoretisch.
STREITPUNKTE Es gab zudem verschiedene Streitpunkte während des Pontifikats von Benedikt XVI. und auch nach seinem Rücktritt. Insbesondere die Neuformulierung der Karfreitagsfürbitte 2008 und ein Jahr später die Aufhebung der Exkommunikation von vier Weihbischöfen der umstrittenen Pius-Bruderschaft – unter ihnen der Brite Richard Williamson, der mit der Leugnung des Holocausts für Aufsehen sorgte – führten zu immenser Kritik jüdischer Verbände und lösten auch innerkatholisch eine Debatte aus. Zwar reagierte Benedikt XVI. schnell, verurteilte die Holocaustleugnung und gab Fehler seitens des Vatikans zu. Diese ungewohnte Offenheit beeindruckte die jüdische Seite, und schon bald war damit das Kapitel beendet. Doch Benedikt wurde seitdem von jüdischer Seite äußerst kritisch beäugt.
Mit seinem Aufsatz »Gnade und Berufung ohne Reue. Anmerkungen zum Traktat ›De Iudaeis‹« in der theologischen Zeitschrift »Communio« geriet der emeritierte Papst 2018 erneut in die Kritik. Insbesondere seine Ausführungen zur Substitutionstheologie, zum Bundesverständnis und zum Staat Israel sind umstritten. Die Reaktionen waren teilweise heftig, und mancher Vertreter des Reformjudentums witterte einen »neuen Antisemitismus auf christlicher Grundlage« oder prognostizierte gar ein Ende des Dialogs zwischen Juden und Katholiken.
Natürlich waren auch die orthodoxen Rabbiner irritiert, aber mit dem Besuch einer Delegation der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD) bei Kurienkardinal Kurt Koch im Januar 2019 im Vatikan konnten die Wogen geglättet werden.
Nach einem sehr konstruktiven und klärenden Gespräch zwischen der Rabbinerdelegation und der Vatikanischen Kommission besuchten Rabbiner Arie Folger, Rabbiner Zsolt Balla und ich den emeritierten Papst zu einem persönlichen Gespräch. Wir konnten offene Fragen in sehr herzlicher Atmosphäre diskutieren und klären. Benedikt hat danach nochmals klar Stellung bezogen und beispielsweise die sogenannte Judenmission unmissverständlich abgelehnt.
»Ich glaube, dass Benedikt XVI. oft falsch verstanden wurde und ihm der Dialog mit den Juden sehr am Herzen lag.«
Rabbiner Jehoschua Ahrens
Ich glaube, dass Benedikt XVI. oft falsch verstanden wurde und ihm der Dialog mit den Juden sehr am Herzen lag – das ist auch meine Erfahrung aus einem persönlichen Gespräch mit ihm. Manche seiner theologischen Äußerungen oder Entscheidungen mögen unglücklich gewesen sein, aber insgesamt hat er den Weg des Dialogs zwischen Katholiken und Juden weiter geebnet, Vertrauen geschaffen und viele wichtige theologische Aussagen, wie die klare Absage der sogenannten Judenmission, erst ermöglicht.
Der Vorstand der Kölner Synagogen-Gemeinde und heutige Zentralrats-Vizepräsident Abraham Lehrer nannte Benedikt XVI. bei dessen Besuch 2005 in Köln völlig zu Recht »den größten Brückenbauer zwischen den Religionen«, der für Akzeptanz und Toleranz gegenüber dem Judentum stehe.
Der Autor ist Mitteleuropa-Direktor des Center for Jewish-Christian Understanding and Cooperation sowie Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD).