von Rabbiner Joel Berger
Der Wochenabschnitt berichtet über den Aufstand von Korach und seinen Genos-
sen. Der heutige, durch politische Parteienkämpfe medienerfahrener Leser, findet sich schnell in dieser Erzählung zurecht. Man meint zunächst in der Aktion von Korach die Stimme einer legitimen Opposition zu hören, die gegen Moses und Aaron gekämpft hat, um die Macht zu ergreifen. Wir sind jedoch gewöhnt, dass eine Opposition auch Argumente darüber unterbreitet, was die Herrschenden falsch gemacht haben und was sie wiederum besser machen können.
Korach verhält sich anders. Er bringt keine Klagen vor. Er kritisiert weder die Führung noch die Lebensmittelversorgung in der Wüste. Er und seine Leute wollen nur die Macht um der Macht willen ergreifen. Strategisch gesehen schien Korach den Zeitpunkt seines Aufstandes richtig gewählt zu haben. Das Volk war verzweifelt und unzufrieden nach dem Bericht der Mehrheit der Kundschafter über die vermutete Stärke der Einwohner des Heiligen Landes. Moses war in einer Führungskrise. Korach benützte die tiefe Unzufriedenheit der Israeliten für seine unbefriedigte Machtgier.
Korach zufolge hatte Moses nur zwei Möglichkeiten: die Rückkehr nach Ägypten oder den Kampf um das von Gott verheißene Land. Dies wäre jedoch mit dem verunsicherten, mutlosen Volk viel zu ris-
kant. Moses verwarf beide Alternativen. Stattdessen kehrt er mit dem Volk in die Wüste zurück. Es wird 40 Jahre dauern, bis eine neue, selbstbewusste Generation entsteht.
In den Pirke Awot, den »Sprüchen der Väter«, ist die Aussage von Rabbi Jochanan, eines unserer Weisen, zu lesen: Jede Vereinigung, die eine reine Absicht hat und uneigennützig für das Wohl der Mitmenschen wirken will, wird auch bestehen. Wenn sie dagegen keine reinen Absichten hat, wird sie schließlich auch keinen Bestand haben. In der Arbeit der Vereinigungen, wie auch in den politischen Auseinandersetzungen, erleben wir es öfter, dass Grundsätze scheinbar einander bekämpfen. In Wirklichkeit aber sind es nicht die Prinzipien, sondern die Menschen, die einander aus dem Hintergrund befehden. Der Kampf Korachs gegen Moses war ähnlich: Korach wollte dem Anschein nach Demokratie und Gleichheit. So könnte man seine Forderung aus der Tora erklären: Er sagte: »... die ganze Gemeinde ist heilig, und inmitten der Herr, also warum erhebt ihr euch über die Gemeinde Gottes?« (4. Buch Moses, 16,3). Diese Formulierung hat seine Wirkung nicht verfehlt. Die Menschen sammelten sich um ihn. Er wollte jedoch die Führungspositionen seines Volkes für sich nutzen, deshalb ist er gescheitert. Er schickt seine Leute in den Kampf gegen Moses – er selber bleibt aber zu Hause (16,27). Und da seine Vereinigung keine reinen Absichten hatte, konnte sie nicht bestehen und war zum Scheitern verurteilt.
Viele Rabbiner haben diese Parascha zum Anlass genommen, um Streit im Gemeindeleben scharf zu verurteilen. Sie taten dies häufig aus der Besorgnis heraus, die Einheit ihrer Gemeinde zu wahren und eine Spaltung zu vermeiden. Die rabbinische Literatur bringt viele Beispiele von Debatten, Meinungsverschiedenheiten und Streitigkeiten in der Gemeinschaft.
Im talmudischen Traktat Derech Eretz wird erwähnt: »Wie herrlich lobenswert ist der Friede, der Streit dagegen ist verwerflich.« Die Weisen meinen, dass Debatten sogar zu Blutvergießen führen könnten. Ein jüdisches Heim, in dem man streitet, kann keinen Bestand haben, so die Rabbiner. Wenn man bei einem Beit Din mit seinem Nächsten streitet, führe dies sogar zur Zerstörung der Welt (Derech Eretz, Kapitel 7).
Die Hintergründe für die Aussagen in diesem Traktat sind gewiss mit den gesellschaftlichen und politischen Umständen jener Zeit zu erklären. Vermutlich lauerten Gefahren seitens der nicht gut gesinnten Nachbarn, fremden Eroberer und Feinde. Diese suchten nach Gelegenheiten den jüdischen Gemeinden Schaden zuzufügen. Daher waren die Gelehrten aus dem Gefühl der Verantwortung heraus gegen die Debatten, die nach außen dringen könnten.
Der Talmud wertet die Meinungsunterschiede jedoch positiver und pragmatischer. Herausgehoben werden die halachischen Diskussionen der Meister Hillel und Schammaj, als Auseinandersetzungen »Le-
schem Schamajim« (wörtlich: »Um des Himmels Willen.« Sie haben beide nach dem Willen Gottes geforscht. Eine andere Talmudstelle behauptet (Jebamot, 14b), dass die Diskussionen der genannten Meister zu keiner persönlichen Gegnerschaft geführt hatten. Im Gegenteil: Hillel und Schammaj begegneten einander stets freundlich und taktvoll. Man findet sogar die Feststellung (Eruwin, 13b und Gittin, 6b), dass die Aussagen der beiden Meister, »wie von Gott selber inspiriert« waren, auch wenn sie nicht als Halacha angenommen wurden.
Der Talmud bewahrte immer auch die Meinungen der Unterlegenen, mit der Begründung, dass diese vielleicht eines Tages für einen Gelehrten oder Schüler als wertvolle Hinweise dienen könnten. Ein Standpunkt, der momentan nicht aktuell ist, kann in der Zukunft für eine andere Generation immer noch aktuell werden. Es wäre wünschenswert, dass diese Tradition, einander zu respektieren, immer die Oberhand gewinnen könnte.
Korach, 4. Buch Moses 16,1 – 18,32