Gefühle

Um Gottes willen

von Detlef David Kauschke
und Baruch Rabinowitz

Religiöse Gefühle. Wer an Gott glaubt, dem sind diese beiden Wörter wichtig. Denn es geht um das, was uns im Innersten bewegt, was uns heilig ist. Aber wie läßt sich dieses Empfinden mit der säkular geprägten Welt vereinbaren, in der wir leben? Wer in die Internet-Suchmaschine Google das Wortpaar eingibt, wird auf »was’n das« verwiesen und landet einen Klick weiter bei »wirres.net«. Verwirrend, aber typisch. Auch für Deutschland. Seit Monaten wird in der Bundesrepublik heftig über die Frage gestritten, wann religiöse Gefühle verletzt werden und wann nicht. Egal, ob eine dänische Zeitung Mohammed-Karikaturen veröffentlicht oder ein TV-Musiksender eine Zeichentrickserie namens Popetown ausstrahlt – die Aufregung ist groß. Empört sind auch die Gegner des Kinothrillers Da Vinci Code. Kirchenvertreter stoßen sich daran, daß Jesus dort als verheirateter Mann dargestellt wird. Die katholische Kirche in Tschechien hat den Film bereits mit den Mohammed-Karikaturen verglichen und von einem schweren Angriff auf die religiösen Gefühle von Christen gesprochen. Aber was für die einen ein Sakrileg ist, ist für andere überhaupt kein theologisches Problem. Moses war auch verheiratet.
Was sind religiöse Gefühle überhaupt, von denen viele Menschen glauben, gar keine zu haben? Ein Gefühl kann eine Wahrnehmung oder nur eine vage Ahnung sein. Es kann auch ein seelischer Zustand sein. Auf jeden Fall geht es um das Innerste des Menschen. Sind religiöse Gefühle dann nicht vor allem eine ganz private Angelegenheit? So einfach ist es offenbar nicht. Die bayerische Landesregie- rung will sich stärker für den Schutz religiöser Gefühle einsetzen. »Wir müssen uns fragen, ob die Verhöhnung von religiösen Symbolen nur dann geahndet werden kann, wenn der Frieden gestört ist«, erklärt Ministerpräsident Edmund Stoiber. Folglich wolle man prüfen, ob der »Gotteslästerungs-Paragraph« 166 im Strafgesetzbuch nicht verändert werden müsse. In Deutschland wird die Beschimpfung von religiösen Bekenntnissen seit 1969 nur dann mit Geld- oder Freiheitsstrafe verfolgt, wenn der öffentliche Frieden gestört wird. Doch der ist ein weites Feld. Verurteilungen aufgrund des Paragraphen 166 sind daher sehr selten.
Auch für uns Juden ist das ein Problem. Seit Jahrtausenden wird diese Religion verspottet. Karikaturen über Juden sind fast so alt wie das Neue Testament. Das kann man mit Fug und Recht bedauern und verdammen. Aber solange der eigene Glauben gefestigt ist, können die Gefühle nicht wirklich verletzt werden. Gegen Niveaulosigkeit kann man die uralte Weisheit empfehlen: die eigene Würde bewahren.
Wichtig ist aber der Unterschied zwischen der Verletzung religiöser Gefühle und der Mißachtung religiöser Gesetze. Manche Menschen fühlen sich verpflichtet, einen Verstoß gegen ihre religiöse Praxis zu verhindern oder den dafür Verantwortlichen zu bestrafen. So wie in der bi- blischen Geschichte von Pinchas, der in seinem Eifer zwei Menschen umbringt, die gegen das jüdische Gesetz verstoßen haben. »Pinchas hatte die Ehre Gottes verteidigt«, steht in der Tora.
Wann ist aus jüdischer Sicht die Ehre Gottes und wann sind religiöse Gefühle verletzt? In Jerusalems ultraorthodoxem Viertel Mea Schearim hängen überall Plakate, auf denen die Besucher aufgefordert werden, die religiösen Gefühle der Anwohner zu achten. Zum Beispiel müssen Frauen züchtig gekleidet sein. Was darunter zu verstehen ist – Schulter und Beine bedeckt, langes Kleid statt kurzer Hosen –, das entscheiden die Bewohner des Viertels. Im benachbarten Jerusalemer Stadtviertel Geula fühlen sich einige junge Orthodoxe in ihren religiösen Gefühlen schon verletzt, wenn andere fromme Menschen oder Passanten auf dem Gehweg für einen kleinen Plausch stehenbleiben. Das Gespräch könnte zu Laschon Hara, also zur Sünde der üblen Nachrede führen. Darauf weisen Schilder hin, die die jungen Männer jedem wortlos unter die Nase halten, der sich auf dem Bürgersteig unterhalten will.
Und was sagt unsere Tradition über religiöse Gefühle? Eine Geschichte erzählt von Baal Schem Tov, der über seinen christlichen Kutscher empört war. Warum? Weil sich der Mann nicht verbeugte, als er mit ihm in der Kutsche an dessen Kirche vorbeikam. »Warum hast du dich nicht verbeugt?«, fragte ihn der Rabbiner. »Jemand, der seiner Religion nicht treu ist, wie kann der einem Menschen treu sein!« Gilt diese Weisheit nicht bis in unsere Tage?
Bleibt die Frage: Begrenzen religiöse Gefühle das Recht auf freie Meinungsäußerung? In einer offenen und toleranten Gesellschaft nur bedingt. Man muß auch mal über Religion lachen können. Denn Presse- und Meinungsfreiheit sind ein hohes Gut. Da müssen gelegentliche Geschmacklosigkeiten hingenommen werden. Das mag man bedauern. Doch diese Art Grenzüberschreitung ist kaum ein Fall für das Strafgesetzbuch. Und wenn es um die Würde des Menschen geht, wenn jemand also allein wegen seiner religiösen Überzeugung verunglimpft wird, ist das Grundgesetz davor. Was jedoch unserer säkularen Gesellschaft fehlt, ist mehr Rücksichtnahme und Respekt gegenüber religiösen Gefühlen. Auch wenn es nicht immer unsere sind.

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