25 Stunden ohne zu essen und zu trinken?
An Jom Kippur unterziehen sich viele, vielleicht die meisten Juden dieser »Kasteiung«. So gaben zum Beispiel im vergangenen Jahr nach Angaben der israelischen Tageszeitung Yedioth Ahronoth 63 Prozent der Befragten an, am Versöhnungstag fasten zu wollen. 22 Prozent meinten, damit eine Mizwa zu erfüllen. 38 Prozent wollten es aufgrund der »jüdischen Tradition« tun.
Das Fasten ist ein Gesetz der Tora und zugleich eine althergebrachte Sitte. In Erinnerung an verhängnisvolle Tage in der jüdischen Geschichte wird das Gebot des Fastens (hebr.: Zom, Taanit) am 9. Aw, dem 10. Tewet und dem 17. Tamus sowie am
3. Tischrei, dem Tag nach Rosch Haschana (Zom Gedalja), beachtet. Bereits in biblischen Zeiten wurde zum Zwecke der Buße, zur Unterstützung von Bittgebeten und als Zeichen der Trauer auf die Nahrungsaufnahme verzichtet. Meist war dies verbunden mit dem Anlegen eines Bußgewandes und dem Streuen von Asche auf das Haupt.
Zum Beispiel fasteten die Juden Persiens nach dem Vernichtungsbefehl von König Achaschwerosch (Esther 4,3), und gingen in »Sack und Asche«. Unter Schmuel fastete das Volk vor dem Kampf gegen die Phi-lister (1. Samuel 7,6). Und König David versagte sich einen Tag lang jegliche Speise, aus Trauer um den verstorbenen Awner (2. Samuel 3,35). Moses nahm 40 Tage und Nächte nichts zu sich, als er zum Empfang der Tora auf dem Berg Sinai weilte: »Brot aß er nicht und Wasser trank er nicht« (2. Buch Moses 34,28). Wie es in der Encyclopaedia Judaica (Berlin, 1927) heißt, geht es dabei um die »Unabhängigkeit von irdischen Bedürfnissen«.
Diese Unabhängigkeit wird auch am Jom Kippur hervorgehoben. »Es ist der heiligste Tag des Jahres, da stehen wir vor G’tt«, erläutert der Dortmunder Gemeinderabbiner Avichai Apel. »An diesem Tag dürfen und müssen wir nichts essen und trinken, damit wir uns stattdessen nur auf die Buße und das Gebet konzentrieren können.« Dies entspricht der Anweisung in der Tora: »Im siebenten Monat, am zehnten des Monats sollt ihr euch kasteien und keinerlei Werk verrichten. Denn an diesem Tag wird er euch sühnen, dass ihr rein werdet; von allen euern Sünden sollt ihr rein werden vor dem Ewigen« (3. Buch Moses, 16,29-30).
Das Kasteien, Peinigen oder Demütigen der Seele (hebr.: Inuj Nefesch) bezieht sich auf das Fasten, wie es auch im 35. Psalm (13) erwähnt wird: »ich kasteite mit Fasten meine Seele«. Diese Pflicht des Versöhnungstages, wie auch die anderen Gebote der Enthaltung – zum Beispiel das Verbot jeglicher Arbeit, des sexuellen Kontakts oder des Tragens von Lederschuhen – tritt am Vorabend des Jom Kippur vor Sonnenuntergang in Kraft und dauert bis zum Nachteinbruch am Ausgang des Versöhnungstages. Es ist ein Tag vollkommener Ruhe, und wird auch »Schabbat Schabbaton« genannt.
Auch wenn das Judentum – im Unterschied zu manch anderen Religionen – Selbstkasteiung als Mittel zur religiösen Erhebung nicht vorsieht, bildet Jom Kippur eine Ausnahme, erläutert Rabbiner Avichai Apel: »Denn üblicherweise heiligen wir die Speisen und Getränke durch Einhaltung der Kaschrut und das Sprechen der Brachot. Doch an Jom Kippur entfernen wir uns für einen Tag von dieser Welt, daher können und sollen wir auf physische Nahrung verzichten.«
Dies ist übrigens bei gesunden Menschen nicht schädlich. Der Organismus ist mühelos in der Lage, sich über längere Zeit aus körpereigenen Depots zu versorgen. Bei Kranken und Schwangeren kann das anders sein. Wenn für sie Lebensgefahr besteht, sind sie halachisch vom Gebot des Fastens befreit. Detlef David Kauschke
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