Das Schweizer Fernsehen nützt die Sommerferien seit einigen Jahren für historische Rückblicke in Form von Living-History-Projekten: Die Zürcher schickten Frei-
willige ins Pfahlbauer-Dorf oder auf den Bauernhof zur Zeit des Emmentaler Dichters Jeremias Gotthelf, um der Nation zu zeigen, wie es sich da so lebt(e). Seit dem 27. Juli werden die Zuschauer 25 Frauen und Männer beobachten könne, die das Alltagsleben in einem Militärbunker des Zweiten Weltkrieges bewältigen sollen. »Alpenfestung – Leben im Réduit« lautet der Titel der Vorabendsendung zwischen Börsenberichten und Werbung für französischen Käse oder Babywindeln.
Réduit – das war auch die Verteidigungsdevise der Schweizer Armee im Juli 1940, nachdem Frankreich kapituliert hatte und das kleine Land damit von den beiden Achsenmächten Italien und Deutschland vollständig eingeschlossen war. Dass diese Rückzugsstrategie mit dem Codewort »Verschlag« nicht, oder allenfalls zum geringen Teil, wie Historiker meinen, dazu beitrug, dass die Schweiz von einem Einmarsch der deutschen Wehrmacht verschont geblieben ist, hat dem »Réduit-Mythos« des wehrhaften Landes bis heute nicht geschadet.
Und wie es scheint, setzen auch die TV-Verantwortlichen darauf, dass die Bunker-Serie dadurch zum Publikumsrenner zwischen St. Gallen und Bern wird. Frühere History-Serien brachten es auf eine Zuschauerquote von bis zu 63 Prozent.
Die Männer unter den 25 Bewohnern der »Alpenfestung« wohnen dabei Tag und Nacht in einem Bunker in der Innerschweiz, während Frauen und Kinder tagsüber auf einem nahe gelegenen Bauernhof arbeiten müssen. Und natürlich soll alles wieder stilgerecht sein: Die Suppe kommt aus der Feldküche, Requisiten wie Radioapparate, welche die Neuigkeiten von gestern verkünden, stammen aus den 40er-Jahren, und die Gewehre der Festungsbe-
wacher sind mit schafer Munition geladen. Moderiert wird die TV-Serie von Oliver Bono, der in seiner Dienstzeit als Soldat in einer Festung stationiert war.
So viel Realismus ist nicht allen geheuer. Zu den ersten Kritikern bei der Vorstellung des Fernsehkonzepts gehörten Vertreter des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds (SIG). Generalsekretär Jonathan Kreutner betonte: »Unterhaltungsshows, die auf dem Zweiten Weltkrieg basieren, erachten wir als fragwürdig.« Ähnlich äußerte sich auch der israelische Botschafter. Und ein Vertreter der Israelitischen Cultusgemeinde (ICZ) bezeichnete die Idee gar als »einen schlechten und geschmacklosen Scherz«.
Zweifelhaft ist vor allem, ob sich durch solche Serien die Schweizer intensiver mit der jüngeren Vergangenheit auseinandersetzen. Bedarf dafür gibt es reichlich, wie einige aktuelle Beispiele zeigen. Die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) sahen sich jüngst Protesten unter anderem des Polnischen Botschafters in der Schweiz ausgesetzt. Grund: Auf den Umschlägen für die SBB-Fahrscheine war eine Europa-Karte abgedruckt, auf denen die osteuropäischen Länder Teil Deutschlands sind. Die Bundesbahn musste die Umschlänge aus dem Verkehr ziehen und sich entschuldigen.
Und ebenfalls nicht goutiert wurde das Veranstaltungsmotto einer jährlichen Tagung der Freisinnig-Demokratischen Partei des Kanton Baselland. Die gemäßigte Rechtspartei ist auch in der Regierung in Bern vertreten. Die Freisinnigen wählten für die Veranstaltung zur aktuellen Flüchtlingsproblematik des 21. Jahrhunderts ausgerechnet jenen Satz, mit dem die offizielle Schweiz während des Zweiten Weltkrieges vor allem jüdische Flüchtlinge an der Grenze zurückwies und damit ihren Verfolgern auslieferte: »Das Boot ist voll.« Nun heißt das Motto der Tagung: »Wohin geht der Weg?« Wohin der Weg der Schweizerinnen und Schweizer bezüglich der sogenannten Vergangenheitsbewältigung aber geht, kann der Zuschauer in den nächsten Wochen verfolgen. Peter Bollag
Schweiz