von Gil Yaron
Der Grenzstrich zwischen Gasa und Ägypten ist nur zwölf Kilometer lang. Das Gebiet um die durch die Grenze geteilte Stadt Rafah ist der Schlüssel für die Frage, wer letztlich den Krieg in Gasa gewonnen hat. Denn hier befinden sich die Schmugglertunnel. Deren Zerstörung war eines der wichtigsten Ziele der Militäroffensive. Im Gespräch mit unserer Zeitung schätzte ein hochrangiger Offizier der israelischen Ar-
mee, dass die Luftwaffe während der »Operation Gegossenes Blei« rund 80 Prozent der Tunnel zerstört habe. Nun geht es da-
rum, den Schmuggel unter Rafah dauerhaft zu unterbinden, sei es mit diplomatischen oder militärischen Mitteln. Sollte es der Ha-
mas gelingen, den Schmuggel zu erneuern, könnte sie für den nächsten Waffengang rüsten. Gelänge es Israel, die Nachschub-linie der Islamisten auf Dauer zu kappen, könnte es in Israels Süden Ruhe geben.
Eines ist sicher: Die Verwüstung in Ra-
fah ist verheerend. Augenzeugen sprechen von einer »neuen Steinzeit«, fließend Wasser oder Strom seien abgeschnitten, Nahrung ist knapp. Dabei ist Elend hier nicht neu. Weitab von den Eliten aus Gasa-Stadt im Norden, galt Rafah mit seinen großen Flüchtlingslagern lange als das Armenhaus des Landstrichs. Der Wandel kam mit Beginn der ersten Intifada 1987, als palästinensische Terrororganisationen erste Tunnel gruben, um Waffen aus dem Sinai einzuschmuggeln.
In den 90er-Jahren wurde die zunehmende Zahl der Tunnel für Israel zu einem strategischen Problem. Die Armee setzte alles daran, die Einfuhr von Waffen zu verhindern. Man errichtete den »Philadelphi Korridor«, einen etwa 200 Meter breiten Streifen an der Grenze zu Ägypten. Dies sollte das Ausheben neuer Tunnel erschweren. Doch »Unternehmer« wie Abu Abdallah störte das nicht, zu lukrativ war der Schmuggel. Sein Tunnel liegt elf Meter unter der Erdoberfläche. Bei schwülen 34 Grad und dem Gestank von Abfall verdiente der 30-Jährige aus Rafah in Gasa bisher seinen Lebensunterhalt. Seit mehreren Jahren betrieb er mit seinem Geschäftspartner Abu Kamal im palästinensischen Rafah einen Tunnel, durch den er für 350 US-Dollar pro Leinensack Güter aus Ägypten schmuggelte. Fast alles konnte Abu Abdallah bisher besorgen: Zigaretten, Potenzpillen, einen Löwen für einen Zoo und sogar eine Braut schleuste er bereits nach Gasa. Manchmal waren in den Säcken und Kisten auch Waffen für die Hamas.
»Unternehmen« wie das von Abu Abdallah und seinen 13 Mitarbeitern wurde im Krieg zum strategischen Ziel. Vor Beginn der israelischen Offensive soll es in dem 12 Kilometer langen Grenzstreifen rund 350 Tunnel gegeben haben, theoretisch einer alle 35 Meter. Sie hielten während der israelischen Blockade nicht nur Gasa am Le-
ben. Für Israel ist das Ende des Waffenschmuggels zur wichtigsten Bedingung des Waffenstillstands geworden. Allein, wie das erreicht werden soll, bleibt unklar. An praktischen wie fantastischen Ideen fehlt es dabei nicht. Radargeräte können Höhlen im sandigen Boden entdecken. Längst ha-
ben die USA ein Team im Sinai stationiert, das den Ägyptern helfen soll, die Tunnel aufzuspüren.
Der Abriss weiterer Häuserreihen in Rafah soll die Schmuggler zwingen, ihre Tunnel länger als 1.000 Meter zu machen. Dann, so eine Quelle in der Armee, müssten sie Belüftungsschächte anlegen, mit deren Hilfe man die Tunnel entdecken könnte. Vielleicht stand auch dieses Kalkül hinter den massiven Bombardements der Israelis. Immerhin galten mehr als 10 Prozent der rund 2.500 Luftangriffe dem schmalen Grenzstreifen.
Doch letztlich werden nicht technische Fähigkeiten, sondern nur politische Entschlossenheit den Schmuggel unterbinden können. Immerhin sicherte das Abkom-
men, das Israel mit den USA unterschrieb, vage amerikanische und internationale Un-
terstützung bei der Unterbindung des Schmuggels zu. Der Gipfel in Jerusalem mit sechs europäischen Staatsoberhäuptern machte deutlich, dass dies nun nicht mehr ausschließlich Israels Interesse, sondern ein Anliegen der westlichen Welt ist. Wie dies genau funktionieren soll, und welche Rolle Ägypten dabei spielt, bleibt allerdings weiterhin offen.