von Ingo Way
Wer kennt nicht die Bilder, auf denen Badende auf dem Rücken im Wasser liegend die Zeitung lesen? Bei Touristen ist das Tote Meer – im Hebräischen Salzmeer genannt – zwischen Israel und Jordanien ein beliebtes Reiseziel. Aufgrund des hohen Salzgehalts kann man darin praktisch nicht untergehen. Auch Nichtschwimmer können sich also bedenkenlos treiben lassen. Zum Vergleich: Das Mittelmeer hat einen Salzgehalt von drei Prozent, beim Toten Meer sind es über 30 Prozent. Auch einen Kuraufenthalt kann man hier buchen. Dem salzigen Wasser wird eine heilende Wirkung bei diversen Hautkrankheiten zugesprochen. Zahlreiche Hotels in Israel und Jordanien leben gut von europäischen Neurodermitis-Patienten.
Dabei ist das Tote Meer eigentlich gar kein Meer, sondern ein See. Er wird vom Jordan gespeist und hat keinen Abfluss. Das Wasser verdunstet, und das Salz bleibt zurück. Im strengen Sinne ist das Tote Meer auch gar nicht biologisch tot. Zahlreiche Bakterien und andere Mikroorganismen überleben darin. Doch in einem anderen Sinn hat das Tote Meer doch etwas mit dem Thema Sterben zu tun: Sein Wasserspiegel sinkt dramatisch ab – mit weitreichenden Folgen für Umwelt, Wirtschaft und Tourismus. Dies besagt eine Studie der Technischen Universität Darmstadt, die kürzlich in der Online-Ausgabe der Fachzeitschrift »Naturwissenschaften« veröffentlicht wurde. Das Team um die Geologin Shahrazad Abu Ghazleh belässt es aber nicht bei der Zustandsbeschreibung, sondern macht konkrete Vorschläge, wie das Tote Meer reanimiert werden könnte.
Fährt man von Jerusalem aus mit dem Auto durch die Judäische Wüste ans Tote Meer – eine Fahrt von etwa 30 Minuten –, spürt man den Druckunterschied auf den Ohren, wie bei der Landung mit dem Flugzeug. Kein Wunder, denn man begibt sich auf den tiefsten Punkt der Erdoberfläche hinab. 420 Meter unter dem Meeresspiegel liegt der Pegel des Toten Meeres. Dort angekommen, sieht man deutlich die Terrassen, die der sinkende Wasserspiegel am Ufer hinterlassen hat.
Diese Erosionsterrassen haben Abu Ghazleh und ihre Mitarbeiter nun erstmals per DGPS – »Differential Global Positioning System«, ein Verfahren, das in der Geodäsie eingesetzt wird – genau vermessen und kartiert. Damit konnten sie die Terrassen datieren und bestimmten Jahren zuordnen.
Die Forscher berechneten Bodenfläche und Wasservolumen des Toten Meeres und fanden heraus, dass der See in den vergangenen 30 Jahren 14 Kubikkilometer Wasser verloren hat. Der Spiegel ist um 21 Meter gesunken, 70 Zentimeter im Jahr. Täglich sinkt der Meeresspiegel um zwei Millimeter. Im untersuchten Zeitraum hat die Oberfläche des Sees um ein Viertel abgenommen.
Eine Folge: Die Wege von den Hotels zum Ufer werden immer länger. Doch das ist nur eine vergleichsweise harmlose Konsequenz. Durch den absinkenden Wasserspiegel strömt Grundwasser aus der Umgebung nach. Infolgedessen entstehen Hohl- räume, der Boden reißt auf, Gebäude und Brücken sind vom Einsturz bedroht. Den Fabriken, die das Tote Meer zur Gewinnung von Kali, Salz und Magnesium nutzen, entstehen höhere Pumpkosten. Und auch Tierschützer sollten aufhorchen: Durch die ökologischen Veränderungen ist unter ande- rem der Bestand des Arabischen Wolfes gefährdet.
Doch die Propheten der Klimakatastrophe können erst einmal durchatmen. Denn das Sinken des Wasserpegels hat laut Abu Ghazleh und ihren Koautoren nichts mit dem Klimawandel zu tun. Schuld ist der große Wasserbedarf in der Region. Sowohl Israel als auch Jordanien entnehmen für Landwirtschaft, Industrie, Tourismus und Privathaushalte Wasser aus dem Jordan. Dadurch fließt weniger Wasser ins Tote Meer, die Verdunstungsrate bleibt aber gleich – mit der Folge, dass der Meeresspiegel sinkt.
Nun ist das Problem nicht neu. Die israelische und die jordanische Regierung denken schon seit geraumer Zeit über einen künstlichen Zufluss nach. Eine 300 Kilometer lange Pipeline soll frisches Wasser aus dem Roten Meer ins Tote Meer transportieren. Wegen des starken Gefälles könnte die Pipeline sogar zur Stromerzeugung genutzt werden. Problematisch sind allerdings die Kosten, die auf fünf Milliarden Euro geschätzt werden.
Die Förderleistung dieser Pipeline wäre aber ohnehin zu gering, um den sinkenden Wasserspiegel auszugleichen oder gar auf ein früheres Niveau anzuheben, schätzt Abu Ghazleh. Ihr Vorschlag ist daher, auf Meerwasserentsalzungsanlagen am Mittelmeer zu setzen, anstatt Trinkwasser aus dem Jordan nach Haifa und Tel Aviv zu leiten. Zusammen mit der Pipeline vom Roten Meer, deren Förderleistung bei mindestens 0,9 Kubikkilometern pro Jahr liegen müsste, und einer weiteren Pipeline vom Mittelmeer, die ebenfalls in der Diskussion ist, hätte der Salzsee dann Gelegenheit, sich zu erholen. Andernfalls wird in spätestens 300 Jahren nur noch eine Salzkruste an die legendäre biblische Landschaft erinnern.