von Christian Böhme
Sie sind tot, hingerichtet mit Handgranaten und Kugeln aus Sturmgewehren. Mehr als 170 Menschen kamen in Bombay ums Leben. Ermordet von fanatischen Islamisten, denen ein Menschenleben nichts wert ist. Den militärisch gut ausgebildeten Attentätern ging es nur um eines: in der indischen Millionen-Metropole Angst und Schrecken zu verbreiten – unter den furchtsamen Augen einer globalisierten Weltöffentlichkeit.
Das ist den Terroristen gelungen. Fast 60 Stunden lang verwandelten sie die Stadt in ein Schlachtfeld, töteten mit größtmöglicher Brutalität nach einem minutiösen Plan. Nichts blieb dem Zufall überlassen. Auch ihr eigener Tod gehörte zum Kalkül. Und sie führten dem Westen mit Blut und Tränen vor Augen, wie verletzlich er ist. Der Angriff auf Bombay – das war aus Sicht der islamistischen Terror-Internationalen ein Triumph, ein Propagandaerfolg erster Güte: Seht her, wir können es! Jederzeit, überall. Unsere Feinde sind nirgends vor uns sicher. Über unzählige Internetforen wird die Botschaft vom Etappensieg im »Heiligen Krieg« schon bald Verbreitung und Nachahmer finden. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann der nächste Anschlag folgt.
Ebenso sicher ist, dass die Ziele die gleichen sein werden wie in Bombay: Amerikaner, Briten, Israelis, Juden, der Westen und seine Lebensart. Denn Indiens »11. September« hat eines wieder unter Beweis gestellt: Zum ideologischen Fundament des militanten Islamismus gehört neben dem Hass auf Freiheit und Demokratie ein mörderischer Antisemitismus und Antizionismus. Gegen Juden, Amerikaner und ihre Verbündeten im Kampf gegen den Terror wird mit Worten und Waffen Front gemacht. Für radikale Muslime in aller Welt sind sie Zielscheibe. Deshalb haben die Attentäter von Bombay nicht nur Touristenhotels angegriffen, sondern auch das Chabad-Zentrum. Dort – das hatten die Mörder ausgekundschaftet und somit die Gastfreundschaft der Rabbinerfamilie auf perfideste Art missbraucht – fanden jüdische Reisende aus aller Welt Unterkunft. Vor allem Israelis und Amerikaner. Aus Sicht der Terroristen war es daher geradezu folgerichtig, das Nariman-Gebäude zu überfallen. Und vermutlich war von vornherein klar, dass keine Geisel das Haus lebend wieder verlassen sollte.
Zweifellos, Bombay steht einmal mehr für die gnadenlose Gewalt der Täter und die hilflose Ohnmacht der Opfer. Aber liegen zwischen dort und hier, zwischen dem vermeintlich schwachen, etwas chaotisch wirkenden Indien und dem ach so starken, strukturierten Europa nicht Tausende Kilometer und damit auch Welten? Solch ein Anschlag bei uns? Kaum vorstellbar. So denken in Deutschland immer noch viele. Doch der Glaube, wir seien wenig angreifbar, ist ein gefährlicher Irrglaube. Die Gefahr, die vom islamistischen Terrorismus ausgeht, wird unterschätzt, ja verdrängt. Und das, obwohl die Bedrohung auch hierzulande greifbar ist. Nur purer Zufall und Glück haben die Anschläge der Kölner Kofferbomber verhindert. Und was, wenn die »Sauerlandgruppe« ihre Pläne in die Tat hätte umsetzen können? Man mag sich das lieber nicht vorstellen. Aber es gehört zu den vordringlichsten Aufgaben der Politik und der Sicherheitsbehörden hierzulande, sich über solche Szenarien Gedanken zu machen. Vor allem darüber, sie keinesfalls Wirklichkeit werden zu lassen.
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble versucht deshalb vorzubeugen. Das bedeutet seiner Ansicht nach auch, dem Bundeskriminalamt mehr Möglichkeiten und Kompetenzen im Kampf gegen den Terror zu geben. Wir müssen uns gegen Angriffe wappnen, lautet das Credo des CDU-Politikers. Ist dieser Ansatz so falsch? Mit Sicherheit nicht. Es ist eine der ureigensten und vorrangigen Pflichten des Staates, seine Bürger zu schützen. Im Krieg gegen den Terror heißt das: Vorsichtige Eingriffe in individuelle Freiheitsrechte müssen denkbar und möglich sein. Denn trotz berechtigter Vorbehalte gegenüber der Allwissenheit und Allmacht des Staates: Zu viel Skepsis kann tödlich sein.
Doch wir sollten uns nicht großen Illusionen hingeben. Auch neue Gesetze und hochgerüstete Sicherheitskräfte sind keine Garantie dafür, dass der Westen den islamistischen Terror besiegt. Es wird ein langer Kampf mit vielen Opfern werden, in dem sich zwei Welten gegenüberstehen. Die eine liebt das Leben, die andere den Tod.
Weiteres zu den Anschlägen von Bombay finden Sie auf den Seiten 7, 17 und 19.