von Constanze Jaiser
Wie erzählt man Kindern vom Holocaust? Die israelische Kinderpsychologin Batsheva Dagan gibt mit ihrem Buch Wenn Sterne sprechen könnten eine mögliche Antwort auf diese schwierige Frage.
Batsheva Dagan, 1925 als Isabella Rubinstein in Lodz geboren, hat selbst als junge Frau das Vernichtungslager Auschwitz überlebt. Einfühlsam und warmherzig erzählt sie die Geschichte der neunjährigen Musia und des sechsjährigen Miki, die im Ghetto leben. Den Vater der beiden haben die Nazis bereits abgeholt. Als die Mutter der beiden Kinder, Alunia – sie ist die Cousine der Ich-Erzählerin –, eines Tages nach Auschwitz deportiert werden soll, wird die Angst der Kinder zum Schock. Ohne Eltern bleiben Miki und Musia im Ghetto zurück. Und am Ende werden auch sie verschleppt. Doch in Auschwitz treffen sie ihre Mutter wieder. Glückliche Umstände, ja vielleicht nur Zufälle, tragen dazu bei, dass Alunia ihre Kinder im Lager verstecken kann. Am Ende überleben sie alle.
So viel wie nötig und so wenig wie möglich will Batsheva Dagan vorgeben. Ihre Erläuterung lässt Spielraum für Fragen der Kinder. Die Illustrationen von Avi Kaz verstehen es, mit den Worten der Autorin in einen Dialog zu treten, um die emotionale Atmosphäre der Zeit einzufangen. Bewusst knüpft Dagan am Konzept der Märchen an: Auch dort mündet die Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse immer in ein Happy End. Gegen mögliche Vorwürfe, den Holocaust nicht in seiner ganzen Grausamkeit darzustellen, setzt Batsheva Dagan ihren Anspruch, die Erzählung dem Denkprozess des Kindes und seiner emotionalen Entwicklung anzupassen.
Israelische Pädagogen wie Adir Cohen oder Dina Stern sehen die Bedeutung solcher Erzählungen darin, dass sie die Hoffnung und die Identifikation mit dem Streben nach dem Triumph des Guten stärken. Im Buch ist die Voraussetzung hierfür durch das Versprechen erfüllt, das Alunia ihren Kindern vor der Deportation gibt: »An jedem Abend, wenn die Sterne am Himmel erscheinen, werde ich in meinem Herzen zu euch reden«, sagt sie ihnen, und »auch ihr werdet mir sagen können, was ihr fühlt. Und so werden wir an jedem Tag um dieselbe Zeit miteinander reden können und in Gedanken zusammen sein.« Zugegeben, es ist eine Gratwanderung. Denn die Realität im Lager gleicht einer Atmosphäre, die viele Überlebende mit dem Begriff »Hölle« umschreiben. Doch Kinder und Jugendliche mit einer Erzählung in einer »unausweichlichen Dunkelheit« zu belassen, sei moralisch zweifelhaft und nicht hilfreich für die Notwen- digkeit von Erinnerung. Dem Buch Wenn Sterne sprechen könnten liegt Dagans Konzept zugrunde, dass die Aneignung der Geschichte des Holocaust ein »gradueller Entwicklungsprozess« ist. Das Interesse an der Schoa zu stärken und sich mit positiven Elementen menschlichen Verhaltens in leidvollen und verbrecherischen Zeiten zu identifizieren, sei, so die Autorin, die Voraussetzung dafür, dass diese Geschichte nicht verdrängt oder verleugnet wird. Batsheva Dagans Buch ist eines der wenigen deutschsprachigen Kinderbücher über den Holocaust. Die Erzählung klingt wie ein Märchen, eines, das nichts mit jenem Auschwitz zu tun hat, das Millionen Menschen erlebt und von dem wir Erwachsenen gehört und gelesen haben. Und doch ist es eine wahre Geschichte.
Man kann darüber wissenschaftliche Dispute führen. Und in Deutschland ist man sehr kritisch, welches die richtige Form ist, dieses Thema Kindern zu vermitteln. Zu groß ist oft die Angst, ausgerechnet in diesem Land den Massenmord zu verharmlosen. Erfahrungsberichte aus der pädagogischen Arbeit sprechen jedoch eine eindeutige Sprache.
batsheva dagan: wenn sterne
sprechen könnten.
Bilder von Avi Kaz, Metropol Verlag, Berlin 2007, 32 Seiten, 14 Euro