von Wladimir Struminski
Mosche Katsav droht eine Anklage wegen Vergewaltigung: eine Affäre, die nicht nur in Israel Schlagzeilen macht. Allerdings ist Israels Staatspräsident – gerade dieser Tage – nicht der einzige Prominente, dem sein vermeintlich unkontrollierter Geschlechtstrieb zum Verhängnis werden könnte. So steht Ex-Justizminister Chaim Ramon vor Gericht, weil er eine 20jährige Soldatin gegen ihren Willen geküßt haben soll. Dem Verdacht zufolge hat das 56jährige Regierungsmitglied den Kopf der jungen Frau gepackt und bei dem »Küßchen« seine Zunge in ihren Mund gesteckt. Der Geschäftsmann Ofer Glaser wiederum wurde vom Tel Aviver Amtsgericht schuldig gesprochen, eine Mieterin und eine Krankenpflegerin unsittlich berührt zu haben – letzteres, während seine eigene Ehefrau, die Milliardärin Shari Arison, im Nebenzimmer krank darniederlag. In der Berufung schenkte auch das Bezirksgericht Glasers Unschuldsbeteuerungen vor einigen Wochen keinen Glauben und erhielt die sechsmonatige Freiheitsstrafe aufrecht.
Die drei Fälle sind nur die Spitze des Eisbergs. Wie die Statistik belegt, haben viele israelische Männer keine Hemmungen, ihre Machtposition zur Befriedigung sexueller Gelüste zu mißbrauchen. Im Jahr 2003 – aktuellere Angaben liegen bisher nicht vor – wurden insgesamt 130.000 Beschwerden wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz eingereicht. Das entsprach einem Achtel aller erwerbstätigen Frauen. Berücksichtigt man die hohe Dunkelziffer, gehören männliche Übergriffe zum Alltag. Zur Belästigung in der Firma kommen unerbetene Avancen in anderen Lebensbereichen hinzu.
Daran vermag auch das vor acht Jahren verabschiedete Gesetz zur Verhinderung sexueller Belästigung nicht viel zu ändern. Galit B. (Name geändert), ehemalige Kassiererin in einem Jerusalemer Supermarkt, erinnert sich: »Der Filialleiter hatte ein Auge auf mich geworfen. Obwohl ich ihm deutlich gesagt habe, daß ich nicht interessiert war, sprach er mich immer wieder auf eine Affäre mit ihm an. Wenn ich nach Feierabend nach Hause fuhr, spionierte er mir nach. Er wollte sehen, ob ich einen Freund hatte. Zum Schluß faßte er mich – im Geschäft – an.« Da platzte der geschiedenen Mutter der Kragen. »Ich drückte ihm vor versammelter Mannschaft den Kassenschlüssel in die Hand, schmiß meinen Kittel hin und ging. Er sah aus wie ein begossener Pudel. Er hatte nicht geglaubt, daß ich kündigen würde. Die meisten Frauen tun es ja nicht.« Für eine Anklage reichte Galits Kraft aber nicht aus.
Zwar unterscheidet sich das Triebleben des israelischen Mannes, betont der Partnerschaftstherapeut Chen Nardi, nicht grundsätzlich von dessen Geschlechtsgenossen weltweit. »In allen Kulturkreisen werden Frauen traditionell als Sexualobjekt angesehen«, erklärt Nardi. Allerdings gebe es in Israel soziale Faktoren, die das Problem verschärften. An erster Stelle nennt Nardi den mit fast drei Jahren besonders langen Wehrdienst. »Durch die Armee werden Männer in ihrem Macho-Verhalten bestärkt. Sie lernen, daß man sich seine Ziele erkämpfen darf und muß. Dieses Muster wird auf das Verhältnis zwischen den Geschlechtern übertragen. Statt sich um eine echte Partnerschaft zu bemühen› ›erobert’ der Mann das Objekt seiner Begierde. Als Landesverteidiger lebt er in dem Bewußtsein, ihm stehe eine Belohnung zu, auch sexueller Natur.« Nicht umsonst wurde in der Luftwaffe der Chauvi-Spruch geprägt: »Hatowim latajis. Hatowot letajassim«, sinngemäß: »Die besten Männer gehören in den Flieger, die besten Frauen gehören den Fliegern.« Vorgesetzte, so Nardi, Oberstleutnant a.D. und ehemaliger Stützpunktkommandeur, verfügten im Militär über eine enorme Machtfülle. »Das verleitet zum Mißbrauch. Der Blick einer Soldatin wird nicht als Zeichen des Respekts vor dem Kommandeur, sondern als Liebe zu dem dahinterstehenden Mann fehlgedeutet.« Und wie fast alle anderen Tugenden und Sünden des Militärs, wird das Sexualverhalten der Uniformträger in die zivile Gesellschaft transponiert.
Religiöse Einflüsse spielen ebenfalls eine Rolle. Nach verbreiteter rabbinischer Auffassung hat der Ehemann Anspruch auf Sex. Falls seine Frau ihre »ehelichen Pflichten« vernachlässigt, kann er sie vor dem Rabbinatsgericht als »widerspenstig« verklagen. Auch der Seitensprung des Gatten wird als halb so schlimm legitimiert. Selbst außereheliche Nachkommen eines Mannes sind kein schwerwiegendes Problem, solange die Mutter unverheiratet ist. Dagegen werden außereheliche Kinder einer verheirateten Frau als Bastarde diskriminiert – eine Regel, die die sexuelle Unterlegenheit der Frau weiter zementiert.
An Initiativen, den »Triebtätern« das Handwerk zu legen, mangelt es nicht. So hilft die Frauenlobby Betroffenen, die die Lustmolche anzeigen wollen, vor Gericht. Die Frauenrechtlerinnen hoffen zudem, mit Hilfe von Gerichtsverfahren abschrekkende Präzedenzfälle zu schaffen. Zu-
gleich versuchen sie, dem Antibelästigungsgesetz durch Zusammenarbeit mit Arbeitgebern zu flächendeckender Durchsetzung zu verhelfen.
Therapeut Nardi hält die Bestrafung Schuldiger für erforderlich, aber nicht ausreichend. Aus seiner Sicht ließe sich eine angemessene Lösung des Problems, nur durch intensive Erziehung zur Gleichheit der Geschlechter ab dem Kindesalter erreichen. Dafür aber wäre eine konsequente Durchsetzung des Gleichheitsgedankens vor allem im Schulwesen erforderlich. Daß der Staat die dafür erforder-
liche Einsicht, geschweige denn die finanziellen Mittel aufbringt, glaubt Nardi jedoch nicht. Bis zum nächsten Skandal ist es wohl nicht weit.