von Heide Sobotka
Charlotte Knobloch ist sichtlich erschüttert. Die Worte der Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland sind kaum hörbar, als sie am Samstagabend zu den Delegierten der Ratsversammlung im Münchener Gemeindezentrum spricht. Den ganzen Tag über haben die Medien die Schreckensmeldungen aus Indien verbreitet. »Bombay hat tiefe Schatten auch auf uns geworfen«, sagt Knobloch und kritisiert die Berichterstattung, die kaum er wähnt, dass es sich um einen gezielten An schlag auf die Chabad-Gemeinde und das Rabbinerehepaar Gavriel und Rivka Holtzberg handelte.
Die gedrückte Stimmung hält auch am nächsten Tag an. Mit einer Schweigeminute gedenken die 80 Delegierten aus 120 jüdischen Gemeinden der Toten. Unter den Gästen ist Israel Diskin, Chabad Rabbiner der ersten Stunde in Deutschland. In seinem Grußwort gibt er der Hoffnung Ausdruck, dass das Licht der Tora trotz der Ereignisse in Bombay weiterleuchten werde. Spontan entscheidet das Präsidium, 5.000 Dollar für den überlebenden Sohn der Familie Holtzberg zu spenden.
Kurz und knapp sind die Grußworte der Orthodoxen Rabbinerkonferenz, vorgetragen von Avichai Apel, und der Allgemeinen Rabbinerkonferenz, die von Henry G. Brandt vertreten wird. Israels Bot- schafter Yoram Ben-Zeev betont in seinem von Lala Süsskind verlesenen Brief die besondere Stellung, die der Zentralrat im deutsch-israelischen Verhältnis einnehme und bedankt sich für dessen Freundschaft.
Trotz der Trauer muss das höchste Entscheidungsgremium der Juden in Deutschland am Sonntag ein umfangreiches Programm bewältigen. Ein wichtiger Punkt: die Satzungsänderung für das Schieds- und Verwaltungsgericht beim Zentralrat und die Neuwahl seiner Richter. Die Entscheidung wird aber auf das Ende der Tagung verschoben. Dann spricht Knobloch in ihrem detaillierten Rechenschaftsbericht Mängel und Fortschritte in der jüdischen Gemeindearbeit an.
Die Zentralratspräsidentin hebt zum Beispiel die Berufung von Wanderrabbinern hervor. Sie werden immer dort eingesetzt, wo Not an der Religion ist. Inzwischen greift nach der Orthodoxen auch die Allgemeine Rabbinerkonferenz auf dieses Mittel zurück. Auch das Kulturprogramm des Zentralrats sei erfolgreich, betont Knobloch. Für eine noch effektivere Ar-beit sollen die zuständigen Referenten miteinander vernetzt werden. Die Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg feiert am zweiten Tag Chanukka das Richtfest ihres Neubaus. Demnächst soll dort auch ein Studentenwohnheim entstehen.
Sorge bereitet Knobloch allerdings das mangelnde Engagement der 18- bis 35-Jährigen. Das Konzept des Bundes Jüdischer Studenten in Deutschland müsse dringend überarbeitet werden. Derzeit seien gerade einmal drei Landesverbände aktiv. Auch bei der religiösen Erziehung der Kinder hapere es an ausreichendem und qualitätsorientiertem Unterrichtsmaterial. Das ge- meinsam mit dem Schweizerisch Israelitischen Gemeindebund geplante Buch zur jüdischen Ethik für Jugendliche ab 15 werde erst 2010 erscheinen.
Auch politisch läuft aus Sicht des Zentralrats nicht alles zur Zufriedenheit. Sollte demnächst ein Schächtungs- und Be- schneidungsverbot ausgesprochen werden, bedeute dies eine Gefahr für die religiöse Selbstbestimmung. Knobloch setzt daher große Hoffnung auf europäisch-jüdische Solidarität. Nach der Neuwahl im Europäisch-Jüdischen-Kongress müsse man gemeinsam gegen ein mögliches Verbot vorgehen. In Hinblick auf das Wahljahr 2009 mahnte Knobloch, neben der Gefahr durch die rechte NPD die tendenzielle Israel-Feindschaft der Partei Die Linke nicht zu unterschätzen. Auch die Feindschaft des Iran gegenüber dem jüdischen Staat sei weiterhin bedrohlich. Dessen ungeach-tet unterhalte Deutschland immer noch glänzende Wirtschaftsbeziehungen zum religionsdiktatorisch regierten Land.
Aber es gilt nicht nur, jüdisches Leben in Deutschland zu schützen, sondern es auch zu finanzieren. Dieter Graumann, Vizepräsident und oberster Finanzexperte des Zentralrats, konnte wieder einen ausgeglichenen Haushalt vorstellen. Von der Finanzkrise sei der Zentralrat verschont geblieben. Er sei gar eine »finanzkrisenfreie Zone«, weil man kein Geld durch Aktienspekulationen verloren habe. Zudem sei der Zentralrat durch die Erhöhung des staatlichen Zuschusses von drei auf fünf Millionen Euro durch den Staatsvertrag mit der Bundesregierung »auf Jahre hinaus finanziell abgesichert und politisch gestärkt«, betont Graumann.
Doch nicht alles ging so glatt über die Bühne wie die Absegnung des Haushalts. Als es um die Neuformulierung eines Paragrafen in der Satzung des Schiedsgerichts geht, kommt Bewegung in die Ratsversammlung. Es stellt sich heraus, dass der Text der Satzungsänderung den Delegierten nicht fristgerecht vorgelegt wurde, so dass nicht darüber abgestimmt werden kann. Daraufhin beginnt eine Debatte über das weitere Vorgehen. Bis Hermann Alter, scheidender Vorsitzender des Schiedsgerichts, das Wort ergreift. Die Aussetzung jüdischer Gerichtsbarkeit für ein Jahr würde eine verheerende Außenwirkung zur Folge haben, warnt der Rechtsanwalt.
Schließlich wählen die Delegierten für ein Jahr ein neues Schiedsgericht, nach der alten Satzung. Dem Gremium gehören die Rechtsanwälte Dan-Markus Baur, IKG-Vorstandsmitglied in München, Peter J. Guttmann, ebenfalls aus München, und Marc Grünbaum aus Frankfurt an. Darüber hinaus unterstüzen der Düsseldorfer Rabbiner Julian-Chaim Soussan und der Geschäftsführer der Synagogen-Gemeinde Köln, Benzion Wieber, das Schiedsgericht. Bei der nächsten Ratstagung im kommenden Jahr soll dann endgültig über eine neue Schiedsgerichtssatzung entschieden werden.