Kaukasus

Tourismus und Geschäfte

von Ulrike Gruska,
Marina von König und
Nino Taktakischwili

Mehr als einhundert Menschen drängen sich jeden Freitag in der zentralen Synagoge der georgischen Hauptstadt Tiflis zum Gebet: Männer und Frauen, Alte und Kinder. Der im Innern kunstvoll verzierte Bau liegt im Brotviertel, dem ehemals jüdischen Zentrum der Stadt. Dort, wo sich auch die georgische Jugend am Abend zum Ausgehen trifft. Es ist, als hätte es die massenhafte Auswanderung von Juden zu Sowjetzeiten nie gegeben. Als sei die Geschichte von Juden und Georgiern die einer tiefen Freundschaft, die selbst historische Schwierigkeiten nicht zerstören konnten. Doch das stimmt nur zum Teil. Ausgewanderte Juden, die in ihre georgische Heimat zurückkehren, tun dies vor allem aus wirtschaftlichen Gründen – und meist nur auf Zeit. Viele packen nach ausgedehnten Urlaubs- oder Geschäftsreisen ihre Koffer und fliegen zurück nach Israel. In Tiflis bleiben vor allem die Alten zurück.
Und das, obwohl in Georgien kaum Antisemitismus zu beklagen ist – eine Ausnahem im ehemaligen Ostblock. Man könne »überall im Land ohne zu zögern mit der Kippa auf die Straße gehen«, sagt der israelische Botschafter in Georgien, Shabtai Tsur. Es gibt zwei jüdische Schulen in Tiflis, in den beiden Synagogen der Stadt werden täglich mehrere Gottesdienste gefeiert. Die jüdischen Friedhöfe sind gepflegt, und es erscheinen jüdische Zeitungen. Selbst in Batumi, Gori und Kutaisi, wo die jüdischen Gemeinden merklich kleiner sind als in der Hauptstadt, gibt es gut erhaltene Synagogen und aktive jüdische Kulturzentren. Etwa 10.000 Juden leben heute in Georgien.
Noch Mitte des 20. Jahrhunderts war diese Zahl mehr als fünf Mal so hoch. Mehrere zehntausend Juden haben Georgien seit den 60er-Jahren den Rücken gekehrt und sind nach Israel, in die USA, nach Kanada und Europa ausgewandert. Vor allem nach dem Sechstagekrieg 1967 begannen georgische Juden, sich mit dem Staat Israel zu identifizieren. Als die sowjetischen Behörden ihre Auswanderungsanträge ablehnten, baten sie die internationale Gemeinschaft in einem Brief an die UNO um Hilfe – mit Erfolg. Mehr als 30.000 Juden verließen in den folgenden Jahren das kleine Land im Südkaukasus.
Anfang der 90er-Jahre löste die politische und wirtschaftliche Krise nach dem Zerfall der Sowjetunion eine zweite Emigrationswelle aus, die längst nicht auf Juden beschränkt blieb. Viele Betriebe schlossen, die Zahl der Arbeitslosen stieg rapide, das Sozialsystem brach zusammen – und die Menschen verloren die Hoffnung auf eine Zukunft in Georgien. »In diesen schwierigen Jahren wanderten täglich etwa 100 bis 150 Familien aus«, erinnert sich eine Synagogenbesucherin.
Für diejenigen, die in Georgien blieben, waren die Auswanderer in diesen Jahren oft die einzige materielle Unterstützung. »Damals war jeder Dollar überlebenswichtig«, sagt der 52-jährige Dmitri Rischinaschwili, ein Buchhalter, der mit seiner Frau und zwei Kindern nach wie vor in Georgien lebt.
Bis heute verlassen nach Angaben des Jüdischen Zentrums in Tiflis etwa 300 Juden pro Jahr das Land. Auch die Kinder von Zaira Davaraschwili sind vor einigen Jahren nach Israel gezogen. Die 60-Jährige arbeitet im jüdischen Gemeindezentrum. Unterstützt vom Joint Distribution Committee, einer US-amerikanischen Nichtregierungsorganisation, kümmert sie sich um Alte und Kranke sowie um Kinder aus armen Familien.
Vielen Auswanderern sei die Trennung von Georgien alles andere als leicht gefallen, hört man im Jüdischen Zentrum. Denn der Antisemitismus hielt sich hier zu allen Zeiten in Grenzen, die georgischen Juden konnten ihre Identität und Traditionen vergleichsweise gut bewahren. Selbst zu kommunistischen Zeiten wurde in Tiflis keine einzige Synagoge geschlossen und Hebräisch nicht vom Lehrplan der Universität gestrichen. Der 50-jährige Gogi Kavtaradze erinnert sich daran, wie gut Georgier und Juden in seiner Heimatstadt Sestafoni zusammenlebten: »Unsere Nachbarn waren streng gläubige Juden. Oft habe ich am Samstag für sie Brot eingekauft oder das Licht eingeschaltet.« Auch Abimelech Rosenblatt, der stellvertretende Oberrabbiner Georgiens, bestätigt: »Die georgischen Juden konnten ihre Traditionen selbst zur Sowjetzeit bewahren, als Religionen stark verfolgt wurden.« An nahezu jedem Ort, an dem eine größere Anzahl von Juden lebte, habe es funktionierende Synagogen gegeben.
Aufgrund dieser guten Erfahrungen pflegen viele georgische Juden nach wie vor enge Beziehungen zu ihrem Herkunftsland, selbst wenn sie schon vor mehreren Jahrzehnten nach Israel ausgewandert sind. Die Rosenrevolution von 2003, bei der eine junge, westlich orientierte Regierung die Macht übernahm, brachte die bisher größte Welle von Rückkehrern.
Die neuen Machthaber haben ihr Land schnell für ausländische Investoren geöffnet. Vor drei Jahren führte Präsident Michail Saakaschwili die doppelte Staatsbürgerschaft ein. Im Dezember 2005 rief er zum Chanukka-Fest in der überfüllten Tifliser Synagoge jüdische Emigranten dazu auf, wieder georgische Staatsbürger zu werden. Im darauffolgenden Jahr nahmen dem georgischen Außenministerium zufolge fast 340 israelische Staatsbürger dieses Angebot an.
Viele von ihnen investieren in Immobilien. »Juden, die hier geboren sind, gefällt die Idee, in Georgien ein Haus oder eine Wohnung zu besitzen – gerade jetzt, wo die Preise steigen«, sagt der israelische Investor Zeev Frenkiel. Seine Firma baut zurzeit 186 Villen in Tiflis. Außerdem gehören ihm ein Telekommunikationsunternehmen, eine Klinik und ein Landwirtschaftsbetrieb.
Zeev Frenkiel ist keine Ausnahme. Nicht zuletzt wegen der wirtschaftlichen Reformen der Regierung Saakaschwili haben israelische Investoren Georgien entdeckt. Im Sommer 2007 kam eine Delegation israelischer Geschäftsleute nach Tiflis, unter ihnen zahlreiche Immobilienmakler. Laut der Georgischen Investitionsagentur sind die Israelis nach den Kasachen und US-Amerikanern inzwischen zur drittgrößten Anlegergruppe in Georgien geworden.
An diesen engen Verbindungen haben auch die Unruhen im November vergangenen Jahres nichts geändert. Mehrere zehntausend Menschen hatten damals auf den Straßen von Tiflis gegen die Regierung protestiert. Die Polizei löste die Demonstration mit Gewalt auf, Präsident Saakaschwili verhängte den Ausnahmezustand. Die jüdische Gemeinde hielt sich aus diesen Auseinandersetzungen weitgehend heraus. »Wir pflegen sehr gute Beziehungen zur Politik«, sagt Rafael Messengiser, der Vorsitzende des Verbands der jüdischen Gemeinden Georgiens. Das würden nicht zuletzt die vier jüdischen Abgeordneten im georgischen Parlament und die beiden jüdischen Minister in der Regierung beweisen. »Die Ereignisse vom November zeigen, dass in Georgien wirklich Demokratie herrscht«, so Messengiser. Die georgische Regierung habe viel für die Entwicklung des Landes getan. Ebenso viel stehe noch bevor – ein Prozess, an dem sich die jüdische Gemeinde beteiligen wolle.

Discovery Center

Ulm will Albert Einstein ein architektonisches Denkmal setzen

Stararchitekt Daniel Libeskind legt einen Vorentwurf vor, der die Theorien des berühmten Physikers aufgreift

 24.11.2024

Gemeinden

Ratsversammlung des Zentralrats der Juden tagt in München

Das oberste Entscheidungsgremium des jüdischen Dachverbands kommt traditionell einmal im Jahr zusammen – am letzten Sonntag im November

 24.11.2024 Aktualisiert

Berlin

Nan Goldin eröffnet Ausstellung mit Rede über Gaza-Krieg

Die umstrittene Künstlerin nennt Israels Vorgehen »Völkermord« – »propalästinensische« Aktivisten schreien Museumsdirektor nieder

 23.11.2024 Aktualisiert

Erfurt

CDU, BSW und SPD legen in Thüringen Koalitionsvertrag vor

Wegen der Außenpolitik des BSW ist das Bündnis umstritten

 22.11.2024

Debatte

So reagiert die EU auf die Haftbefehle gegen Netanjahu und Gallant

Bei einem Besuch in Jordanien hat sich der EU-Außenbeauftragte Borrell zum Haftbefehl gegen Israels Regierungschef Netanjahu geäußert - mit einer klaren Botschaft

 21.11.2024

USA: »Wir lehnen die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs für die Situation grundsätzlich ab«

 21.11.2024

Niederlande: Wir würden Netanjahu festnehmen

 21.11.2024

Haftbefehl gegen Netanjahu: Kanada will Gericht folgen

 21.11.2024

Berlin

Scholz soll am Montag als Kanzlerkandidat nominiert werden

Nach dem Verzicht von Verteidigungsminister Boris Pistorius soll Bundeskanzler Olaf Scholz am kommenden Montag vom SPD-Vorstand als Kanzlerkandidat für die Neuwahl des Bundestags nominiert werden

von Michael Fischer  21.11.2024