von Dinah A. Spritzer
Man muß schon über Chuzpe verfügen, um auf seinem Hochzeitsvideo zu verkünden, man wolle die Tora umschreiben. Was muß das für ein Mensch sein, der eine solche Ansage in ein Kunstwerk verwandelt?
Eine postmoderne jüdisch-kanadische Performance-Künstlerin natürlich. Bei Melissa Shiff, 39, dreht sich alles ums Umschreiben – ihre Spezialität ist »das Neuerfinden und die Wiederbelebung jüdischer Rituale für die moderne Welt«. Shiff hält sich derzeit in Prag auf, um ihre Schau »Neugestaltung des Rituals: Postmoderne jüdische Hochzeit« einem überwiegend konservativen tschechischen Publikum vorzuführen.
Ihr Hochzeitsfilm wurde in der Bima der Prager Spanischen Synagoge installiert. Der kurze Film von Shiffs Hochzeit im Jahr 2003 birgt zahlreiche Momente des Neuerfindens. Wie das Bild der Braut, eingehüllt in hebräische Sätze, die aus einem Projektor fließen und jenen Tora-Abschnitt buchstabieren, in dem Rebekka den Schleier nimmt und sich vor Isaak verhüllt. Shiff wendet sich dann ans Publikum und nimmt den Schleier ab.
Hochzeitsszenen aus jiddischen Filmen der 20er und 30er Jahre scheinen überall im Raum auf und werden von neu gemischter Klesmermusik begleitet. Shiff erklärt dem Publikum, daß es »sehr wichtig ist, solche Aspekte unseres jüdischen Erbes zu transformieren, die auf patriarchalischer Herrschaft und der Unterdrückung von Frauen basieren. Aus diesem Grund haben wir uns entschlossen, einige auf die Ehe bezogene anstößige Passagen in der Tora umzuschreiben.«
Man darf nicht vergessen, daß es sich um die Inszenierung eines Paares handelt, dessen Ehe von einem säkularen humanistischen Rabbiner geschlossen wurde – in einer Schnapsbrennerei in Toronto.
Aber ist die Hochzeit Videokunst? Die Kunsthistorikerin Reesa Greenberg, die als Gast auf der Hochzeit war, sagt: »Durch die Verwendung von sorgfältig geschnittenem Videomaterial für ihre Installation vermittelt Shiff den Wesenskern ihres Kunstwerks: die Infragestellung und gleichzeitige Fertigung der traditionellen jüdischen Hochzeitskultur.« Das Werk, das im Rahmen der Hundertjahrfeier des Prager Jüdischen Museums bis zum 4. Juni ausgestellt sein wird – zusammen mit vertrauterem jüdischem Hochzeitszubehör aus Tschechien, regt zum Nachdenken an. Sie verwirrt auch die zahlreichen Besucher. Alle, die wenig Lust haben, die Tora neu zu interpretieren, mißverstehen Shiff vielleicht als schrille, feindselige Feministin, getrieben von dem Wunsch, jedes »Er« in der Bibel auszuradieren.
Auf die Frage, woher sie das Recht nehme, die biblischen Passagen umzuschreiben, antwortet Shiff: »Wir alle haben doch die Neuinterpretation bereits angenommen, auch wenn wir am Text nichts geändert haben. Veränderung ist Teil jeder lebendigen Kultur. Es wird von uns erwartet, daß wir auf das Geschenk der Tora antworten. Und was ich mache, steht in der Tradition der Mischna und der Gemara.« Shiff, die sich selbst als postkonfessionell beschreibt, sagt, sie beabsichtige nicht, die Tradition zu zerstören. Vielmehr nutze sie die Werkzeuge des elektronischen Zeitalters, um zu verhindern, daß das Ritual in der Steinzeit versinkt.
Ausgebildet an der Tufts University, hat sich Shiff einer Kunst verschrieben, die jüdische Themen behandelt und Ungerechtigkeit bekämpft. 2002 schuf sie, in einer symbolischen Gleichsetzung des Juden- tums mit Gastfreundschaft, »Elijas Stuhl« mit einem eingebauten Bildschirm, auf dem sich unendlich Türen öffnen. Dieses Stück befindet sich in der ständigen Sammlung des Jüdischen Museums in New York.
Shiffs neuestes Projekt »Gender Schnitte – der Jude unter dem Messer« ist ein Kommentar zur Beschneidung. Es wurde im vorigen Oktober an der Universität von Toronto ausgestellt. Projizierte Brit-Mila-Bilder laufen immer wieder über ein Kissen in einem biblischen Zelt und werden von Audiokommentaren zur männlichen Beschneidung begleitet. Die ganze Breite von Meinungen ist abgedeckt – von orthodoxen Rabbinern bis zur Forderung einer radikalen Feministin, die Beschneidung durch schmerzlose Rituale für Mädchen und Jungen zu ersetzen.
»Gender Schnitte« vertritt die These, daß Frauen aus dem Bund zwischen Gott und seinem Volk »herausgeschnitten« sind, was mit der Beschneidung beginnt. »Einige Mütter verließen das Zelt mit Tränen in den Augen«, sagte Shiff. »Leute sehen während der Brit Mila nicht hin, also zwinge ich sie, hinzusehen« – etwas, was man auch über ihre Arbeit im Ganzen sagen kann.