von Dirk Hempel
Wie ein Umspannwerk sieht das Gebäude in der Münsterschen Straße 6 nicht mehr aus. Ebensowenig ist der künftige Zweck der Immobilie in Wilmersdorf zu erkennen. In dem zweistöckigen Haus entsteht das neue Bildungs- und Familienentrum von Chabad Lubawitsch. Licht in die Dunkelheit und »Jüdischkeit« nach Berlin zu bringen, das ist das erklärte Ziel der Bewegung. Als er sich vor knapp zwei Jahren bei der Bewag für das Gebäude interessierte, überzeugte Chabad-Rabbiner Yehuda Teichtal den Stromkonzern mit einer simplen Botschaft vom Verkauf: »Schließlich sind wir im selben Busineß: Wir arbeiten beide mit Erleuchtung.« Schon vor dem offiziellen Richtfest wird das Haus rege genutzt: Gottesdienste, Tora-Unterricht und Feiern jüdischer Feste finden hier bereits statt.
Eine interessante Mischung aus Baustellen-Flair und Steh-Empfang bietet sich den Richtfest-Besuchern am vergangenen Sonntag. Baupläne schmücken die grauen, meist unverputzten Wände, an manchen Stellen hängen Kabel herunter, auf dem nackten Betonboden sind Bistrotische mit blütenweißen Tischdecken drapiert, schmuckvolle Kerzenständer und schlichte Baustrahler beleuchten die Szenerie gleichermaßen. Ein zwei mal zwei Meter großes Modell des künftigen Szloma-Albam-Zentrums ist so ziemlich das einzige, was hier im zukünftigen Eingangsbereich und angrenzenden Synagogenraum nicht provisorisch scheint.
Dennoch erfüllt ein fröhliches Stimmengewirr aus Deutsch, Englisch, Russisch und Hebräisch den Raum. Man wartet auf den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). Dessen Terminkalender ist auch sonntags voll. Am Morgen hat er den Startschuß zum Berliner Halbmarathon gegeben, abends steht ein Termin bei einem Radiosender an. Und zwischendurch kehrt er bei Chabad Lubawitsch ein. Kaum hat er das Gebäude betreten, bedeckt eine schwarze Kippa Wowereits Kopf. Es ist seine eigene. Die habe er immer im Büro oder im Auto dabei, sagt er der Jüdischen Allgemeinen. »Es gibt ja erfreulicherweise immer mehr Anlässe, zu denen ich sie brauche«, ergänzt er mit vergnügtem Lächeln.
Wowereit ist nicht der einzige Ehrengast, den Rabbiner Teichtal freudig begrüßt. Bezirksstadtrat Reinhard Naumann (SPD) und der israelische Botschaftsrat Joel Lion sind gekommen, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Gideon Joffe, und seine Vorgänger Albert Meyer und Alexander Brenner gehören zu den Gästen. Ebenso sind viele Geldgeber anwesend: So zum Beispiel Vertreter der Albam-Stiftung und der Wall AG, oder die Unternehmer-Brüder Yves und Sidney Jachimomicz.
Denn das Zentrum entsteht zwar mit nomineller Unterstützung der Gemeinde, wird aber ausschließlich durch Spenden finanziert. »Mit kleinen Möglichkeiten, aber großem Herzen«, faßt Rabbiner Teichtal die Idee zusammen. Selbst der Architekt Sergei Tchoban arbeitet pro bono. Insgesamt hat Chabad Lubawitsch rund vier Millionen Euro für den Komplex veranschlagt. Neben der orthodoxen Synagoge, die den Mittelpunkt des künftigen Zentrum bildet, wird ein rituelles Mikwe-Bad, ein Bildungszentrum mit Bibliothek, ein Judaica-Geschäft, ein koscheres Café sowie ein Familienzentrum mit Kindergarten, Spielplatz und eine Talmud-Tora-Schule in dem Gebäude unterkommen.
Teichtal wird nicht müde, den offenen Charakter des Hauses zu betonen: »Jeder Mensch in Berlin ist herzlich eingeladen uns zu besuchen«, sagt er. Man freue sich über jeden, der vorbeischaue, mithelfe oder finanzielle Unterstützung geben wolle. Damit, so Teichtals Vision, will er Berlin wieder zu einem Zentrum jüdischen Lebens machen. Zum Richtfest unterstreicht Chabad Lubawitsch das mit einem symbolischen Akt: »Wir werden heute erstmals seit 1945 in Berlin mit dem Schreiben einer Torarolle beginnen.« Die ersten der handgeschriebenen Buchstaben sind den Unterstützern des künftigen Zentrums vorbehalten, doch nach dem Wunsch Teichtals soll »jeder Mensch in Berlin einen Buchstaben beisteuern«.
Die Tora wird in Israel geschrieben, sie soll im Frühjahr 2007 als fertige Rolle nach Berlin zurückkehren, zur Eröffnung des Zentrums. Es fehlen zwar noch 1,4 Millionen Euro, aber Teichtal vertraut weiterhin auf tatkräftige und finanzielle Unterstützung. In einem Jahr soll das Zentrum deutlich erkennbar sein: Eine Konstruktion aus blauem und durchsichtigen Glas soll dann das Eingangstor zum Gebäude schmücken. Und an der Fassade wird der Name »Szloma-Albam-Zentrum« prangen.